Jonathan Johnson


interview by carsten & cris 
/photo by klaus norris nather // „Was für ein Typ“ muss das sein, der so einen Schmuck macht? Kleine, nackte Schönheiten und Mini-Schriften auf Goldringen, Ketten auf denen „Scheiße“ steht, entblößte Nonnen als Medaillon oder kosmische Armreifen als schwarzes Loch… 

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1. Wie oder was hat dich inspiriert Goldschmied zu werden, wie kam es dazu?

Ursprünglich komme ich aus einem kleinen Dorf, ungefähr 60 km entfernt von Karlsruhe. Der Zivildienst hat mich nach Karlsruhe gebracht, aber darüber hinaus dort zu Leben hätte ich mir nicht leisten können. Meiner damaligen Vorstellung nach wäre ich am liebsten dort an die Kunstakademie gegangen. Aber da ich weder Abitur noch Geld hatte und eigentlich auch keine Lust, die Begabten-Prüfung zu machen, gab ich diese Idee auf.

Es gab die Möglichkeit, eine Bafög geförderte Ausbildung zu machen — ich habe einiges ausprobiert. Schreiner, Stuckateur, Zimmermann — meine Mutter hat mich schlussendlich auf einen Ausbildungsplatz als Goldschmied in der Industrie aufmerksam gemacht. Da ich gerade zwei krasse Wochen bei einem Zimmermann – bei jedem Wind und Wetter draußen – verbracht hatte, war der warme und helle Arbeitsplatz in der Goldschmiede-Fabrik gefühlt wie ein Besuch beim Zahnarzt. Nach 3-4 Tagen Probearbeit habe ich sofort gemerkt, dass mir die Arbeit als Goldschmied totalen Spass machen kann — ich kann kreativ sein, es umsetzen und gleich mit mir rumtragen.

Aber mit Schmuck hatte ich davor nichts zu tun.

Es gibt verschiedene Wege sich in dieser Branche zu entwickeln — ich habe quasi in der untersten Kaste anfangen, in der Industrie und im dualen System. In der Goldschmiede-Industrie wirst du nur ausgebildet, um eine Sache zu machen. Du sitzt zum Beispiel in der Produktion und säuberst nur irgendwelche Gussteile. Es gib zwar auch Goldschmiede, die in der Modellabteilung arbeiten, aber in der Manufaktur der Industrie macht jeder immer nur einen Arbeitsabschnitt.

Was Schmuck herzustellen ist oder historisch war und für mich heute bedeutet, hat sich innerhalb meiner mittlerweile 20 Jahre Erfahrung stark verändert und entwickelt. Erst war es nur Mittel zum Zweck, Geld zu verdienen, um so am Wochenende Musik aufzulegen und einen temporären Club zu organisieren. Man kannte mich in Karlsruhe, ich war erfolgreich: Ich war Joe Johnson und genoss meinen Erfolg als DJ. Dass ich zudem auch noch Schmuck fertigte, wussten die wenigsten.

Über die Arbeit in der Industrie und das Erlernen dieses Handwerks erschlossen sich mir Möglichkeiten und mein Anspruch an diese Arbeit.

Schmuck als künstlerisches Ausdrucksmittel zu sehen, ist nicht besonders verbreitet. Schmuck ist dreidimensional – für mich wie eine Leinwand aus Metall, die getragen werden kann. Das Problem bei angewandter Kunst ist jedoch, sobald etwas eine Form annimmt, ist es nicht mehr Kunst, sondern Kunsthandwerk. Es ist automatisch weniger Wert als ein Bild, das elitär in einem „white cube“ hängt und vor dem jemand steht, um sich mit einem „UUUUH“ zu fragen, was es für eine Bedeutung hat. Sobald etwas zum Beispiel auf eine Vase gemalt ist, wird es automatisch ‘nur’ Handwerkskunst.

Der Versuch einer allumfassenden Kunst (von der Architektur bis hin zum Gerät) gab es zwar in den „Wiener Werkstätten“ oder auch nach dem Jugendstil in der ‘Arts & Craft’-Bewegung in England, aber es hat eigentlich nie geklappt, das in den Köpfen der Menschen zu etablieren.

Ich habe bis heute nichts mit Schmuck zu tun — bei mir ist zwar der klassische Ansatz, warum man Schmuck macht, da, aber er fehlt auf der anderen Seite auch.

Das klingt komisch, aber es ist so. Ich habe auf der einen Seite einen unglaublichen Anspruch an das handwerklich Perfekte, und gerade beim Arbeiten mit Diamanten ist das wie das Anfertigen einer Zahnspange, die ganz viele „Werte“ hält. Das erfordert großes handwerkliches Können, das muss man erstmal hinbekommen.

Aber ich mag Schmuck in jeder Form der Absurdität, ich habe da keine Berührungsangst. Das Obskure, vom Modeschmuck bis hin zu dem scheinbaren 5 Millionen Euro Collier: Für mich ist schlussendlich das eine wie das andere. Ich bewege mich frei, weil ich mich nicht in der Tradition von Goldschmieden verstehe.

 

2. Bei deinen Kollektionen geht es also nicht ums Tragen von Schmuck im klassischen Sinne? 

Mein Schmuck arbeitet mit und gegen die Person die ihn tragen soll. Die Person muss ein grosses Selbstbewusstsein haben, um zu verstehen – zum Beispiel die Kollektion für Bruce LaBruce.

Ein Ring auf dem das Wort „Anal“ in der Fraktur-Schrift von 1933 geschrieben steht – die Härte dieses Rings, das Verbot. Was soll das, warum steht da nicht „Love“ in einer Blümchenschrift drauf? Dafür braucht man Humor und Selbstbewusstsein, um so ein Stück zu tragen.

Mir fehlt das oft im Leben. Menschen nehmen sich zu ernst  – und meist für etwas, was sie eigentlich gar nicht sein können. Das ist Mimikry – aus fehlendem Können ein Fass der Ernsthaftigkeit um sich herum bauen. Letztendlich schützt es nur das Minderwertige. Das soll nicht heißen, ich mache oder bin etwas Besseres; nur finde ich manches einfach so lähmend schlimm, heutzutage. Fehlender Selbsthumor, das Loslassen von Konventionen, ein Neokonservativismus, der schlimmer ist, als man sich heute die 50er Jahre vorstellt. Das hat natürlich viele Gründe. Überbevölkerung und so, alles gab es schon mal. Das Internet gaukelt dir vor, das du zu jeder Zeit alles weißt und könntest. Man schaut sich vieles nicht mehr selbst an, fragt nicht nach, erkundet nicht, man kennt es ja alles schon durch Youtube.

Das ist der Grund, warum ich das hier mache. Wir bestehen eben nicht nur aus einer Seite. Das wäre so, als würden wir uns in einem Regime der Uniformität befinden. Das Regime des ewigen Lächelns, des sportiven Yogas, Fanatismus’, was auch immer… Ich versuche nicht, mit der Welt klar zu kommen. Mich interessiert das ‘Dazwischen’. Es gibt einfach ein Yin und ein Yang – das meine ich absolut nicht esoterisch. Ich kann Blümchen auf einen Ring setzen oder eben Scheiße. Ich muss nicht gefallen. 😉

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3. Wie kam es dann zu der Entscheidung, dich selbständig zu machen? 

Ich wollte nie nur Schmuck für eine elitäre, kleine Gesellschaftsgruppe machen. Ich habe keine Berührungsängste mit billigem Schmuck oder Modeschmuck. Es ist ein Bedürfnis jedes Menschen, sich zu schmücken. Darum wollte ich den Schmuck demokratisieren: jeder sollte ihn sich leisten können. Ich wollte mir nicht vorschreiben lassen, was ich machen darf und was nicht. Darum habe ich mich selbständig gemacht.

 

4. Du kommst ja ursprünglich aus Süddeutschland. Der Umzug nach Hamburg war doch sicherlich ein großer Umbruch?

Ich fühle mich eigentlich nicht an einen Ort gebunden, ich verbinde keinen Ortsbegriff mit ‘Heimat’. Ich habe mich im Leben immer ‘außen vor’ gefühlt, das begleitet mich noch immer. Ich habe meine Heimat in mir gefunden.

Als ich nach Hamburg kam, habe ich es erst einmal genossen, hier unbekannt zu sein. In Karlsruhe kannte mich ja jeder als den DJ Joe Johnson, nicht als Goldschmied. Hier musste ich mich erst mal selbst sortieren, spüren, wie ich mich ganz neu positionieren konnte. Es gab immer wieder Phasen, in denen ich wieder wegziehen wollte. Aber inzwischen bin ich seit über 7 Jahren in Hamburg.

Anfänglich war die Hamburger Distanz ziemlich irritierend. Das kannte ich aus Süddeutschland anders. Dort sind die Leute eher harsch und direkt. Aufgrund der katholischen Kultur ist der Umgang mit Schmuck und Festlichkeit ein anderer; das Tragen von Goldschmuck ist im Leben fest verankert. Beispielsweise in München, wo der Schmuck ‘öffentlicher’ ist, wie  in den Ausschmückungen der Kirchen und so weiter. Handwerk und Tracht spielen deshalb eine große Rolle. Hamburg als Handelsstadt ist da anders.

 

5. Wie beeinflusst diese spezielle hanseatische Haltung zum Schmuck deine Arbeit? 

Hier in der Handelsstadt wird gekauft und verkauft, das Tragen von Schmuck folgt da auch anderen Konventionen. Es gibt allenfalls Siegelringe oder die klassischen Perl-Ohrringe, die auch eine gesellschaftliche Zuordnung zeigen. Alles was man auf der Haut trägt und gegebenenfalls versetzen könnte, ist suspekt.  Man zeigt nicht, was man hat, schmückt sich nicht so deutlich. Im Norden ist darum die Positionierung als Goldschmied schwieriger. Aber dafür sind hier die Gedanken weiter, offener. Hier ‘geht’ mehr.

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6. Du hast außergewöhnliche Designkonzepte für deinen Schmuck. Woher holst du dir deine Inspirationen?

Ich lasse mich durch alles inspirieren. Im hochpreisigen Schmuck geht es um handwerkliche Fähigkeiten und Perfektion: was für Möglichkeiten gibt es?

Die iMacs sind heute das, was früher die Fabergé-Eier waren. In so einer Tradition steht man, wenn man es Ernst meint mit Schmuck.

Persönlichkeiten inspirieren mich zum Beispiel. Für Heinz Strunk habe ich ein Armband gemacht, auf dem ‘Goldener Handschuh’ steht, weil er so auf die Kneipe steht.

Für eine Kollektion für Bruce LaBruce arbeite ich an Cock-Ringen mit dem Schriftzug ‘Obscenity‘. So etwas wäre beispielsweise in Berlin nicht so gängig, da gibt es vielleicht mehr Sex, aber diese Selbstverständlichkeit gibt es nur in Hamburg auf dem Kiez.

Außerdem breche ich gerne Erwartungshaltungen und spiele mit ihnen. Ich habe mit Rocko Schamoni eine Kollektion entwickelt, bei der auf den Schmuckstücken in geschwungener Schreibschrift ‘Scheiße’ steht.

Schmuckstücke können zu kleinen lebendigen Objekten werden, mit denen oder durch die man sich identifiziert — intime Wegbegleiter, geschaffen für die Ewigkeit.

Wenn man sich für ein besonderes Schmuckstück entschieden hat, dann fühlt man sich ohne dieses fast nackt. Ich habe früher nie Ringe getragen, aber wenn ich heute ohne meinen Lieblingsring vor die Tür gehe, muss ich wieder zurück, um dieses fehlende Stück an meinen Körper zu holen.

 

7. Was war die beste Idee in deinem Leben?

Gute Frage — ich denke noch mal darüber nach…

 

8. Heute mal richtig faul sein – was fällt dir spontan dazu ein?

Das liebe ich. Richtig lange schlafen, so bis 9:00 Uhr. Dann einen richtig ausgiebigen Spaziergang mit Wippo*: das ist im Moment das Tollste. Danach noch im Café sitzen; irgendwas lesen; nach Hause kommen; vielleicht einen Film ansehen und auf der Couch einpennen — Luxus, den ich selten habe. Oder heute Abend: da gehe ich auf ein Wrestling- Event. Wenn man, so wie ich, gerade 7 Tage die Woche gute 10-15 Stunden täglich arbeitet, ist so ein Abend frei schon mal ‘richtig faul sein’.

  • Wippo ist kein Hund 🙂 , er zählt zwar zu der Gattung Spitz, ist aber große Freude & Liebe von Jonathan Johnson und seit einem Jahr ständiger Begleiter.

 

 

9. Nenne mir bitte spontan 3-5 Begriffe die dir spontan zu deiner Arbeit einfallen.

Wahnsinn, Disziplin, Besessenheit, Dankbarkeit und Liebe

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10. Was ist der größte Kompromiss zwischen Geld verdienen und Selbstverwirklichung?

Ich sage mal Disziplin — meine persönlichen Ansprüche fließen überall mit ein. Heute hat vieles, auch Schmuckdesign, den Anspruch, zeitlos zu sein. Für mich besteht Zeitlosigkeit in der Ernsthaftigkeit der Umsetzung, der Qualität der Fertigkeit. Das heißt der 19-Euro-Punk-Ring muss genauso ernst genommen werden wie ein Diamant-Ring. Für mich ist Selbstverwirklichung nicht der Punkt – ich habe mich für diesen Beruf entschieden, dann muss man einfach üben, üben, üben … Wenn ich die Feile nicht in die Hand nehme, feilt sich der Ring nun mal nicht selbst.

Das ist oft hart: Ich will professionell sein und auf Augenhöhe mit den Dingen, die mich beeindrucken — es gibt kein ‘Später’, (wenn man das jetzt mal aus atheistischer Sicht betrachtet: kein Leben nach dem Tod) es gibt eher zu wenig Zeit für mich. Das ist ein Antrieb, immer im Fluss zu sein. Wie Wippo, der seinem tierischen Instinkt folgt, ohne darüber nachzudenken. Trainieren, machen und tun. Aber ich bin zum Glück in einer Position, in der ich mich entscheiden kann, was ich machen will oder darf.

Dass Selbstverwirklichung eine ständige Herausforderung ist, hinter der eine unglaubliche Härte und Disziplin steckt, begreifen die üblichen ‘9/5er’ wohl kaum. Natürlich mag ich auch gerne mal im Park sitzen. Aber für mich ist das auf Dauer einfach zu langweilig. Dafür muss man wohl geschaffen sein. Ich bin es nicht.

 


Quickreport:

1.süss oder salzig? süss

2. morgens oder abends? morgens

3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? sowohl als auch

4. lieber allein oder am liebsten mit vielen? lieber allein

5. auto oder fahrrad? mietwagen

6. sekt oder selters? bier 

7. berge oder meer? berge

8. electro oder pop? punk

9. bleistift oder kugelschreiber? spraydose

10. rom oder hongkong? rom

 

…Danke für dein Mitmachen- und dass du uns teilhaben lässt.


found // by cris

jonathan johnson// Oliver Pfeiffer – was für ein Typ, habe ich schon beim ersten Mal gedacht, als ich ihn vor 7 Jahren kennengelernt habe. Aber nicht nur auf Grund seines Auftretens, das zweifellos interessant ist. Auch, weil er wahnsinnig spannende Geschichten erzählen kann. Nein, „was für ein Typ“ muss das sein, der so einen Schmuck macht? Kleine, nackte Schönheiten und Mini-Schriften auf Goldringen, Ketten auf denen „Scheisse“ steht, entblößte Nonnen als Medaillon oder kosmische Armreifen als schwarzes Loch. Irgendwie irre, irgendwie irre interessant und wenn man mit ihm redet, dann begreift man schnell, dass bei Jonathan Johnson kein Stück, das er fertigt nur dekorativer Schmuck ist. Wer Stücke aus seinen Kollektionen kauft, trägt Haltungen, Emotionen & Geschichten, die mit großem handwerklichen Können gefertigt wurden. Ich trage stolz meine „Scheiße-Kette“ und wenn ich ein Stück von Jonathan bei anderem Menschen entdecke, möchte ich den oder die Träger/in am liebsten grüßen 😉 -— so wie ich es früher auch in meiner Ente gemacht habe, wenn mir ein anderer Entenfahrer entgegen kam. Da ist etwas, bei dem, was er schafft, dass über „nur schöne Dinge fertigen“ hinausgeht; Es verbindet und das ist irgendwie „irre…“ —  und damit sind wir dann wieder bei ihm 😉 — tendaysaweek

 


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