Kirsten Roschlaub

interview by miriam kaefert // photo by anatol kotte // Scheitern macht sexy —  wenn man was daraus macht und dazu noch den Kopf stolz auf dem schmalen Hals behält — denn das macht Kirsten. Sie hat sich durch eine Krise gehäutet, vielleicht auch ein paar Federn gelassen, aber schlussendlich ist sie mit geradem Rücken auf das zurückgekommen, was sie liebt und kann: Galeristin mit Leib und Seele zu sein…

1. Galeristin – das klingt toll, nach Kunst- und Glamourwelt. Wie bist du eigentlich Galeristin geworden? Es gibt ja keine staatlich anerkannte Ausbildung.

„Durch Zufall! Und durch die Stadt Hamburg. Ich hatte eine Agentur, die Werbefotografen vertritt. Für die war ich im Sommer 2003 auf der Suche nach einem neuen Büro. Und das wiederum habe ich am Klosterwall in Hamburg gefunden. Der Haken war, dass die Räume von der Stadt für die Nutzung als Galerie subventioniert waren. Tja. ,Kein Problem‘, habe ich mir da gedacht. Dann mache ich das halt! Ich hänge einfach zusätzlich ein paar Bilder an die Wand und spiele ein bisschen Galerie! Wenn sich das jemand angucken will, dann soll er das machen. Und dann hat das tatsächlich richtig gut funktioniert und mir wirklich Spaß gemacht. Und ich habe festgestellt, dass mir das Galeristinnen-Dasein gefällt: ,Eigentlich ist das doch viel cooler!‘, fand ich. Aber ich habe auch schnell gemerkt, dass ich nicht Agentur und Galerie ernsthaft parallel betreiben kann.

2. Also hast du dich entschieden, hauptberuflich Galeristin zu sein …

Ja! Und mein Banker hat zu mir gesagt: ,Du musst in eine bessere Lage, Klosterwall passt doch nicht zum Image. Such dir was Cooleres, das steht dir doch viel besser!‘ Und ich dachte: ,Klar, da hat er doch total recht!‘ Also bin ich 2005 umgezogen, in die Milchstraße in Hamburg-Pöseldorf. In Räume, die traumhaft waren. Aber das Fünffache an Miete gekostet haben. Das Fünffache! Dabei ist die Ecke gar keine so gute Lage, es gibt dort ja überhaupt keine Laufkundschaft. Ich habe darüber aber gar nicht nachgedacht, es schien ja alles so einfach, es lief so gut, alle kamen in meine neue Galerie. Easy! Das war schon so ein bisschen Größenwahn, der mich damals gepackt hat! Ich konnte mir überhaupt gar nicht vorstellen, dass es irgendwann nicht mehr so glatt laufen könnte. Und natürlich habe ich auch noch einen Kredit aufgenommen, um das Ganze zu finanzieren. Das war zu einer Zeit, als das noch wirklich easy war, nach dem Motto: ,Darf’s noch ein bisschen mehr sein, Frau Roschlaub?‘

Tja. Und dann fing die Krise an. Ich erinnere mich noch ganz genau an den Moment, als ich 2008 im Auto saß und hörte, dass die Bank Lehman Brothers pleite ist. Ein Schock. Ich habe gedacht: ,Scheiße!‘ Mir war sofort klar, dass es jetzt vorbei ist. Dass mich genau diese Krise auch erwischen würde.

3. Eine Vorahnung …

Ja, und es ist genau so gekommen. Firmenkunden, die regelmäßig Kunst bei mir gekauft haben, sind plötzlich abgesprungen. Verständlich, man kann nicht einerseits Mitarbeiter entlassen – und nebenbei noch ein paar schicke neue Bilder für die Wände anschaffen. Das Ganze schnell hat eine krasse Dynamik entwickelt. Ich hatte bald jeden Tag meine Bank im Nacken, die ihre Raten wollte, gleichzeitig sind die Kunden weggeblieben. Es wurde immer enger. Und dann wurde mir von der Bank ein Berater empfohlen, der war der beste Freund von meinem Banker. Welch Zufall! Aber ich bin auf jeden Vorschlag, jeden Rat eingegangen, weil ich völlig panisch war. Ich bin mit Panik eingeschlafen und mit Panik aufgewacht. Ich war völlig unfähig, nachzudenken. Sogar eine Lebensversicherung habe ich in der Situation noch abgeschlossen, auf Empfehlung des Beraters. Was für ein Wahnsinn! Ich habe nur noch gemacht, was mir gesagt wurde.

Du wurdest ausgenutzt!

Das ist meine eigene Schuld gewesen, das kann ich niemandem anlasten. Und trotz allem war es für mich unvorstellbar, dass ich es nicht schaffe. Ich konnte mir nicht vorstellen, zu scheitern. Weil ich noch nie in meinem Leben gescheitert war.

4. Was hast du dann gemacht?

Ich habe nach Investoren für meine Galerie gesucht. Ein Notar hatte Interesse, wir haben einen Vertrag gemacht. Er wollte die erste Rate sofort überweisen. Dann kam das Geld nicht. Und kam nicht. Da habe ich angefangen, zu recherchieren. Und herausgefunden, dass der Mann ein Betrüger war, seine Zulassung als Notar längst verloren hatte. Was genau er bezwecken wollte, keine Ahnung. Ich glaube heute, dass ich damals so sehr wollte, dass alles gut wird, dass ich fast schon vorsätzlich nicht so genau hingeschaut habe. Und da stand ich wieder: Kein Investor, kein Geld. Aber unglaublicherweise habe ich selbst nach der Erfahrung noch geglaubt, dass ich es irgendwie schaffen würde. Ums Geschäft habe ich mich zu dem Zeitpunkt aber schon gar nicht mehr kümmern können. Ich war nur noch darauf fixiert, das fehlende Geld aufzutreiben.

5. Auch in deinem privaten Umfeld?

Ja, in der Familie. Und ich bin meinen Eltern heute wirklich dankbar dafür, dass sie gesagt haben: ,Von uns bekommst du nichts!“ Damals fand ich das hart. Sehr hart. Aber hätten sie mir Geld gegeben, wäre das definitiv weg gewesen. Ich habe diese Krise alleine durchgestanden. Ohne Hilfe, ohne fremdes Geld. Das hat mich im Nachhinein stark gemacht. Heute kann ich schon beim Betreten eines Ladens erkennen, ob das Geschäft läuft oder nicht. Man sieht es spätestens dann, wenn man dem Besitzer in die Augen blickt. Ich kenne diesen gehetzten Blick mittlerweile so gut …

… weil du ihn selbst hattest. War das der Moment, als du dir eingestanden hast, dass die Galerie nicht zu retten ist?

Nein, ich habe immer noch daran geglaubt, dass es gut wird. Gut werden muss. Ich habe weiter gesucht und geworben,Gespräche geführt. Und ich habe dann auch tatsächlich zwei Investoren gefunden. Seriös, solide, alles schien zu klappen. Ich war so erleichtert. Am Tag, als wir den Notar-Termin  hatten, passierte dann aber etwas Schreckliches: Die Ex-Frau eines der Investoren starb bei einem Unfall. Ein paar Stunden, bevor wir die Verträge unterzeichnen wollten. Das konnte nicht wahr sein. ,Das geht mit dem Teufel zu‘, schoss es mir da durch den Kopf. Ich war geschockt. Und das war der Moment, es für mich vorbei war. Da war mir klar: Ich gebe auf. Ich habe mich irgendwie sogar schuldig gefühlt an dem Unfall. Es war schlimm. Kurz danach habe ich Insolvenz angemeldet.

6. Aus und vorbei – war das auch irgendwie eine Erleichterung?

Die einzige Erleichterung war, zur Bank zu gehen und zu sagen: ,Ihr könnt mir nicht mehr drohen. Kündigt mir alle Kredite.‘ Ansonsten ist es ja leider nicht so, dass man durch eine Insolvenz von allen Sorgen befreit ist.

7. Wie ging es dir privat nach der Insolvenz?

Das war eine ganz schlimme Phase. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben damit konfrontiert, etwas nicht geschafft zu haben. Ich habe mein Leben lang wirklich gedacht, dass mir nichts passieren könnte. Dass alles immer gut ausgehen würde. Dieser Illusion war ich beraubt. Und kurz nach der Insolvenz bin ich auch in anderer Hinsicht auf die Schnauze gefallen. Im wahrsten Sinne. Ich hatte einen schlimmen Reitunfall – und hatte einen Haar-Riss in der Halswirbelsäule. Ich musste ein halbes Jahr mit einem Korsett herumlaufen. Ich habe echt gedacht: Das passt doch alles zusammen. Ich bin richtig auf die Fresse gefallen.

8. Gibt es etwas, was du aus der Krise gelernt hast?

Ja. Ich denke nicht mehr, dass mir nichts passieren kann, dass ich alles lösen kann. Ich weiß jetzt, dass es Dinge gibt, die nicht zu ändern sind. Und dann muss man einen anderen Weg gehen. Und nie wieder würde ich es so weit kommen lassen. Ich habe mich damals so an diese Galerie geklammert. Das Geschäft war mein Lebensinhalt, das absolut wichtigste, danach kam lange gar nichts. Sie war mir wichtiger als jede Beziehung. Wichtiger als eine eigene Familie. Die Galerie war mein Leben. Und das ist heute nicht mehr so. Wenn der Laden nicht läuft, dann trenne ich mich von ihm. Dann kommt etwas anderes, das weiß ich heute.

9. Wie hat dein Umfeld auf die Insolvenz reagiert?

Das ist noch etwas, was ich gelernt habe: Man ist gar nicht so wichtig und interessant, wie man denkt. Oder in meinem Fall: befürchtet. Ich habe nach der Pleite wirklich gedacht: ,Oh Gott, die ganze Stadt redet über mich!‘ Ich habe mich gefühlt, als würde ich mit einem riesigen Makel herumlaufen, bin kaum noch rausgegeangen. Aber dann habe ich nach und nach gemerkt: Die meisten Leute haben von der Insolvenz gar nichts mitbekommen. Für die war ich kurz mal weg – und dann, mit der neuen Galerie, halt wieder da.

10. Gutes Stichwort! Du hast es tatsächlich ein zweites Mal gewagt. Heute hast du ja wieder eine Galerie!

Ja. Und man kann schon sagen, dass die Idee, es noch einmal zu versuchen, der absolute Wahnsinn war. Das dachte ich erst natürlich auch. Ich habe mir nach der Insolvenz geschworen, dass ich nie, nie wieder einen eigenen Laden haben will. Darum habe ich ja dann auch etwas anderes gemacht, ich habe in der Modebranche gearbeitet.

… was ein eher kurzer Ausflug war.

Ja, richtig glücklich war ich nicht. Und ich habe wirklich nach Alternativen gesucht. Bis ich durch Zufall darauf gekommen bin, einen Berufsberatungstest zu machen. Und das Ergebnis war, kein Witz, dass der Beruf ,Galeristin‘ hundertprozentig meinen Neigungen entspricht. Und das hat mich ins Grübeln gebracht: Soll ich es doch nochmal versuchen? Denn es stimmt ja: Ich kenne mich nirgends so gut aus wie in dieser Branche. Und dann kam eins zum anderen, ich habe gerechnet, kalkuliert – und schließlich die Räume an der Mittelweg gefunden. Wobei es mich kurz vor der Eröffnung noch mal richtig erwischt hat. Ich habe Albträume gehabt, in denen sich die Rechnungen stapelten, schrecklich.

11. Aber die Ängste waren unbegründet – es gibt ein Happy End!

Ja, das stimmt. Es war die richtige Entscheidung, es doch noch mal zu wagen. Ich freue mich wirklich jeden Tag auf meine Arbeit, ich freue mich auf die Galerie, auf die Menschen die kommen und auf meine Mitarbeiter. Es ist doch noch alles gut geworden.


Quickreport //

1.süß oder salzig? salzig

2. morgens oder abends? abends

3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? beides, je nach anlass 

4. lieber allein oder am liebsten mit vielen? lieber allein

5. auto oder fahrrad? auto

6. sekt oder selters? weißwein

7. berge oder meer? meer 

8. electro oder pop? electropop

9. bleistift oder kugelschreiber? kugelschreiber

10. rom oder hongkong? hongkong

 


found // by cris

kirsten // Scheitern macht sexy — auch, wenn das für manch einen wie ein Widerspruch erscheint. Sexy gilt doch als die Belohnung für besonders erfolgreich, besonders schön … besonders besonders; von allem das Meiste und in jedem Fall beneidenswert. Nein, auch das Scheitern macht sexy, wenn man was daraus macht und dazu noch den Kopf stolz auf dem schmalen Hals behält — denn das macht Kirsten. Sie hat sich durch eine Krise gehäutet, vielleicht auch ein paar Federn gelassen, aber schlussendlich ist sie mit geradem Rücken auf das zurückgekommen, was sie liebt und kann: Galeristin mit Leib und Seele zu sein. Ein bisschen wie bei dem Spiel Monopoly: „Gehe nicht über Los und ziehe keine 4000 Euro ein“. Fang noch mal von vorne an — nur jetzt mit einer ordentlichen Portion mehr Realismus. Kein leichter Weg, sich dabei den kritischen Blicken von außen zu stellen, dagegenzuhalten und bei sich zu bleiben. Denn immer noch traut man den meisten Frauen nicht zu, alleine eine Krise zu meistern — well done, Mrs. Roschlaub — be proud — tendaysaweek.



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