Neujahresgedanken

Das ist nun also der Haken hinter 2016. Der letzte Tag Überhang aus dem verbrauchten Jahr ist mit dem 6. Januar auch geschafft, weil jetzt die Weihnachtszeit im westlich-christlich-tradierten Sinne mit der letzten der Raunächte vollständig erledigt ist…

Der Weihnachtsschmuck ist wieder im Karton und tatsächlich machen Christbäume, die dem Werbespot eines Möbeldiscounters motiviert folgen, mir als Fußgänger jeden Gang auf die Straße zum Abenteuer, wenn sie unkontrolliert aus Wohnzimmerfenstern im dritten Stock fliegen.


Das alte Jahr ist also mit Schwung entsorgt. Auf geht’s, ins Neue. Die Frage ist nur: Wie gehe ich das an?


Es gibt ja viele Möglichkeiten, das zu machen. Man kann mit einem hochmotivierten Ausruf à la „Tschakka!“, „Yessss!“ oder ähnlichem Kampfgeschrei beginnen und dem Jahr mit einem vor dem Spiegel antrainierten Lachen entgegentreten. In diversen Talkshows erzählt uns schließlich gerade irgendein Neujahrs-Motivationstrainer, dass das Hirn dem Gesichtsausdruck folgt und man beim Lächeln an nichts Schlechtes denken kann. Wahrscheinlich werden Menschen, die so anfangen auch mindestens zwei Wochen lang die Laufbänder, Rudergeräte und Stepper in allen Fitnessstudios blockieren, weil sie sogar gute Vorsätze haben. Hmmm. Nicht meins. Bitte nicht falsch verstehen, ich lächle gern, lache sogar verhältnismäßig viel – aber so ein hochmotivierter Angang birgt für mich zu viel Frustpotential. Hohe Erwartungen werden ja schließlich auch gerne hoch enttäuscht. Also eher „Nö“.

Wie also dann? Da sind diese Momente – nach einem tatsächlich sehr anstrengenden Jahr ohne wirklichen Urlaub – in denen erscheint mir eine zweite Methode ausgesprochen verlockend: Sie benötigt lediglich eine Pyjamahose, dicke Socken, viel Tee, viele schon mal gelesene Bücher und eine Menge Kuchen. Okay, die Zutaten dafür sind individuell verstellbar, für andere wären die Hilfsmittel vielleicht Bier oder Wein, Pizzakartons und ein Sportkanal im Fernsehen. Aber der erhoffte Effekt ist der gleiche: Ausstieg aus der Welt und sorgloser Rückzug aus der Gegenwart ins heimelige Heim. Einfach drinbleiben, die Welt da draußen ihren Wahnsinn allein weitertreiben lassen und abtauchen. Schon eher meins.

Zu meinem eigenen Leidwesen bin ich erwachsen und weiß, dass das nicht geht. Schließlich sind Sachzwänge zu bedienen: Das heimelige Heim will ja geheizt und bezahlt werden, ebenso der Teehändler oder der Pizzabote meines Vertrauens. Ich muss wohl oder übel da raus. Also muss ich Gründe finde, warum das gar nicht so schlimm ist.

Und siehe da: Das klappt! Es gibt sie noch, die Dinge zum drüber Freuen. Freunde, die ich sehen will und werde. Und ihre Kinder. Kinder sind was Tolles. Nein, das wird jetzt nicht das biedermeierige Lob auf die Unschuld der Kindheit! Zum Glück sind Kinder alles andere als unschuldig. Viel eher sind sie vollständig bereit, jeden Mist auszuprobieren der ihnen in den Weg kommt. Wenn die Eltern was richtiggemacht haben, sind die Lütten arglos und angstfrei und finden es toll, drauflos zu rennen und was Neues zu erleben. Und darüber von ihnen erzählt zu bekommen finde ich absolut großartig. Da lerne ich was. Nämlich einfach mal zu gucken, was die Welt mir spannendes bietet. Dann fällt mir auch wieder einer meiner Lieblingswahlsprüche ein, den ich mir – jetzt echt kitschig – in lieblicher Petit-Point-Stickerei über den Schreibplatz hängen könnte: „Count your blessings“. Eine Liste von allem, das gut ist, zumindest in meinem Leben.


Ich kann von dem leben, was ich am liebsten tue und wovon ich vor Jahren beschlossen haben, es zu meinem Beruf zu machen: Geschichten erzählen. Und während ich das tue bin ich tatsächlich mehr als zufrieden. Manchmal sogar glücklich. Und dann falle ich aus der Zeit, trage also quasi innerlich Pyjamahose und dicke Socken. Und wann ich das mache, schreibt mir auch keine Stechuhr vor. Ich schreibe, wenn ich will, wann ich will und setze meine Prioritäten selber.

Darüber hinaus helfen mir andere dabei, mich gut zu fühlen. Touristen, denen ich den Weg durch die Stadt erkläre, meine Mutter, die inzwischen häufiger meine Hilfe braucht als ich ihre und der ich damit viel von dem Guten angedeihen lassen kann das sie mir mitgeben hat oder der hoffnungsfrohe Flüchtling, dem ich so gut ich kann beim Deutsch lernen und in Deutschland leben helfe und der sich immer ehrlich freut, mich zu sehen. All diesen Menschen verdanke ich ein schlichtes, gutes Gefühl. Und dann ist vollkommen egal, ob das Jahr alt oder neu ist. Es ist ein gutes Jahr, wenn ich es in meiner kleinen Welt dazu mache. Wenn ich versuche, so gut zu sein wie es mir möglich ist – und vielleicht manchmal sogar noch ein bisschen besser. Wenn ich mir von der riesigen und gleichzeitig so kleinteiligen Welt mit all ihren Unwägbarkeiten nicht ständig Angst machen lasse, sondern mir den Moment nehme zu bemerken, wenn etwas schön ist. Und wenn ich es dann auch noch schaffe, anderen ein wenig zu helfen, damit sie auch ein kleines bisschen weniger Angst haben. Und das jeden Tag. Dann wird es, Tag für Tag für Tag ein gutes Jahr. Und vielleicht mache ich dann doch noch etwas mehr Sport oder nehme endlich diesen Yoga-Kurs, das wollte ich schon im letzten Jahr …


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