interview // by carsten kukla, photo // by philipp rathmer // Viktor, ein echter ‚Hamburger Jung’. Sein breites Kreuz zeigt nicht nur Haltung als Türsteher, sondern auch zu den Themen des Lebens – denn er ist zudem auch noch Sprecher und schreibt Kolumnen. Er nimmt sich „Zeit für Zorn“ und vereint somit in seinen Bühnenprogrammen — die Säulen seines Lebens.
1. „ We love what we do“ ist die Überschrift unseres Blogs. Damit sprechen wir Menschen an, bei denen wir das von außen betrachtet so sehen. Du tust ja nun tatsächlich einiges. Wie würdest du deinen Beruf beschreiben?
Als Kommunikator. Kommunikation ist der rote Faden, der sich durch all meine verschiedenen Tätigkeitsfelder zieht. Ich hab’ schon als Kind das Talent bei mir entdeckt, dass ich mit Menschen so reden kann, dass sie mich verstehen. Ich stelle mich auf sie ein und spreche so mit ihnen wie sie mit mir. Manche waren da auch schon mal beleidigt, weil sie sich verarscht fühlten: Ich übernehme schnell die Art zu sprechen von meinem Gegenüber. Ich hab’ auch an der Tür das Talent, Menschen zu deeskalieren und für Ruhe zu sorgen. Das mag daran liegen, dass die Menschen sich meistens verstanden fühlen. Das muss für mein Gefühl auch so sein. Schließlich fälle ich eine Entscheidung über sie, nämlich die, ob sie in den Club kommen oder nicht. Wenn ich sie aus bestimmten Gründen nicht reinlasse, fühlen sie sich schnell abgewiesen und nicht richtig verstanden. Aber ich kann das gut entschärfen und erklären. Die Menschen möchten sich ja gerne verstanden fühlen und geschätzt werden. Und das schaffe ich. Ich kann gut mit Sprache umgehen und sie auch einsetzen.
Ich komm’ aus Wilhelmsburg. Da sind die Menschen sehr körperlich, werden aggressiv und reagieren auch körperlich über, wenn sie sich nicht verstanden fühlen. Ich hab’ dort schon früh gelernt, dass es wichtig ist, klar mit ihnen zu sprechen. Der Ton macht die Musik. Ich stelle Augenhöhe her und rede mit niemandem hochnäsig. Ich stelle mich auf meine Gesprächspartner ein und rede so mit ihnen, dass sie mich verstehen können.
2. Was verbindet für dich deine unterschiedlichen Arbeiten?
Sprache und Kommunikation eben. Wenn ich als professioneller Sprecher irgendwo auftauche, muss ich auch ein Gespür dafür haben, was die Auftraggeber von mir wollen, auch wenn die das selbst nicht genau formulieren können. Aber ich habe eben auch dafür ein Gespür und kann ihnen das geben, was sie von mir wollen, nämlich den gewünschten Ton und die Art, auf die sie den Text gesprochen haben wollen. Ich bin dann meistens auch ziemlich zügig mit den Jobs durch, weil ich einfach verstehe, was die Kunden von mir und ihrem Text wollen.
Ich war und bin ja auch PR-Texter. Da müssen Emotionen in den Text kommen, auch da muss ich immer den richtigen Weg finden, den Inhalt, den der Kunde will, gut rüberzubringen. Das gilt genauso für einen Betrunkenen, der vor mir an der Tür steht und dem ich klarmachen muss, dass sein Abend in diesem Club für heute vorbei ist. Die verstehen das dann meistens auch, ohne sich von mir gegängelt zu fühlen.
3. Du bist ein echter Hamburger aus dem durch Arbeiter geprägten Wilhelmsburg. Wie bist du dazugekommen, künstlerisch zu arbeiten?
Jo, in achter Generation Hamburger! Ich war als Kind nicht besonders sportlich, besonders nicht, was Fußball angeht. Wenn man aber in einem Arbeiterviertel groß wird, muss man Fußball spielen können. Da ich dabei aber nicht gut war, musste ich mir ein anderes Feld suchen, ich wurde ja nie in die Mannschaften gewählt, weil ich nicht besonders talentiert war. Auf den Fußballplätzen war es aber auch so, dass die Väter da mit ihrem Bier am Spielfeldrand standen und ihre Jungs immer zu Höchstleistungen angepeitscht haben.
Mein Opa, mein großes Vorbild, war da anders. Der war Lokführer im Hafen. Der und seine Kollegen haben Boxsport betrieben. Seine Kollegen waren auch anders drauf als die Wilhelmsburger Väter am Bolzplatz, nicht so aggressiv. Die Kollegen waren tätowiert, hatten viel Spaß miteinander und haben viel gelacht. Viele haben auch ein Instrument gespielt und tierisch viel Musik gemacht. Das waren also total lebensfrohe Menschen, die viel Spaß miteinander hatten. Zeitgleich waren die aber auch in der Lage, sich körperlich durchzusetzen und sich zu verteidigen. Dieser Kontrast hat mich total fasziniert. Leider war ich aber nicht so musikalisch wie sie, obwohl ich es versucht habe. Als Kind habe ich statt Sport zu machen viel gelesen und dann für mich das Schreiben, das Geschichten erzählen entdeckt. Das hat mich dann fasziniert. Außerdem war ich in der Schule immer in Theater-AGs und hab wahnsinnig gern auf der Bühne gestanden.
Ich finde auch heute noch diesen Bereich Bühne magisch. Die räumlichen Grenzen der Bühne und das eigene Licht dort haben was ganz Besonderes. Was da oben gesagt wird, wird gehört, es wird als „wahr“ angenommen. Ich war als Kind sehr schüchtern, obwohl ich sehr mitteilungsbedürftig war. Mir wurde also häufig nicht zugehört. Wenn du aber auf der Bühne stehst, hören dir die Leute zu. Das finde ich immer noch faszinierend. Wenn ich einen Text auf der Bühne einfach nur vorlese, nehmen die Leute den allerdings nicht so gut auf, als wenn ich die Geschichte auch spielerisch erzähle. Mir fällt das auch bei Sängern von Rock-Bands auf. Die müssen auf der Bühne Rampensäue sein und das Publikum abholen und mitnehmen. Privat sind die oft still und zurückhaltend. Die Bühne holt aus schüchternen Menschen wohl einfach viel raus. Ich hab’ vielleicht auch darum eine Schauspielausbildung gemacht. Aber leider bin ich nicht gut im Auswendiglernen, darum habe ich das dann nicht weiterverfolgt.
4. Deine Türsteher-Erfahrungen verarbeitest du in Kolumnen, in Buchform und auch für deine Bühnenprogramme mit Türsteher-Kollegen, „Zeit für Zorn?“. Dabei sind es ja häufig die befremdenden Begegnungen mit eher renitenten Clubbesuchern, von denen ihr da erzählt. Das klingt nicht unbedingt als wäre das eine Arbeit mit hohem Spaßfaktor. Was hält dich also ‚an der Tür’?
Selbst nach gefühlt 100 Jahren Türsteherei schaffen es Gäste immer noch, mich zu überraschen. Wenn ich da so an der Tür stehe, denke ich zum Beginn des Abends immer „Na, was kann mir heute schon Neues passieren.“ Aber dann kommt doch immer noch etwas von den Gästen, das mich überrascht. Außerdem ist der Job an der Tür der einfachste Job in der Gastronomie, wenn man ihn denn richtig kann und macht. Die anderen in den Clubs und Bars müssen tierisch ackern, rumrennen, Getränke schleppen. Der Türmann steht in Ruhe an der Tür und behält die Ordnung und gute Stimmung im Blick. Und der Job liefert einfach immer wieder Stoff für neue Geschichten. Außerdem mag ich auch die Spannung dabei. Da ist so ein kleiner Hooligan in mir, der ein bisschen auf die Auseinandersetzung wartet, obwohl ich eigentlich sehr harmoniebedürftig bin. Wenn die Gäste dann auf Konfrontationskurs gehen, mache ich ihnen dann gerne im Gespräch klar, was geht und was nicht. Und die schätzen das meistens auch, weil sie sich ernstgenommen fühlen. Außerdem weiß ich ja, was ich an der Tür zu tun habe – da habe ich einen klaren Vorteil vor den Gästen, die immer improvisieren müssen, weil sie unbedingt in den Club wollen und von der Tatsache überrascht werden, dass sie aus verschiedenen Gründen nicht reingelassen werden. Ich weiß aber auch, dass ich mich auch körperlich durchsetzen kann, wenn es unbedingt sein muss. Das gibt mir natürlich auch eine große Sicherheit, auch wenn ich dieses Mittel nur selten einsetzen muss. Aber wenn es sein muss, tue ich es dann eben doch, um die gute Stimmung im Club zu garantieren.
5. Was macht Auftritte vor Publikum für dich so reizvoll?
Ich steh’ da total drauf, wenn es mir gelingt, Menschen zu unterhalten. Wenn ich merke, dass die richtig Spaß an dem haben, was ich da mache. Dafür mache ich das. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob da 30 sitzen oder 500. Ich hab’ dann immer das Gefühl, mittendrin zu sein und mich mit ihnen zu unterhalten.
6. Mehrere Tätigkeiten nebeneinander: Liebst du diese Vielfalt oder würdest du dich für einen (vielleicht ganz anderen?) Beruf entscheiden wollen, wenn eine gute Fee dir so einen Wunsch erfüllen wollen würde?
Ich brauch das alles. Ich brauch ganz viele verschiedene Beschäftigungen, sonst bekomme ich das Gefühl, mich an etwas festzubeißen. Ich habe eine Neigung dazu, mich an dem, was ich gerade tue, festzuarbeiten. Ich muss darum viele Sachen machen und immer wieder etwas anderes tun, um aus dieser Schleife wieder rauszukommen. Ich könnte mich einfach nicht entscheiden.
Ich hab’ früher allerdings eine Ausbildung zum Tierpfleger angefangen. Die scheiterte aber daran, dass mir damals gesagt wurde, ich wäre aufgrund meines Abiturs überqualifiziert für diese Lehre, darum habe ich das dann beendet. Das wäre vielleicht eine Alternative: Die Ausbildung zu Ende zu machen und dann in dem Job zu arbeiten. Aber eigentlich brauch’ ich die Abwechslung
7. Von was träumst du nachts – wenn du nicht vor der Tür stehst?
Tatsächlich von einer einsamen Hütte im Wald an einem See, wahlweise auch von einer einsamen Insel im Ozean. Allerdings kann es dir auch im wachen Zustand nachts an der Tür schon mal passieren, dass du in sowas wie eine Traumphase kommst. Dann denke ich manchmal, ich sehe nur Schafe um mich herum, auf und ab laufen und blöken. All die Menschen auf dem Kiez, eben, die herumrennen und irgendwo rein wollen, um Spaß zu haben. Diese Masse Mensch kommt schon mal wie eine getriebene Herde rüber. Und dann kommt eben diese Assoziation auf.
8. Zwei Wochen raus und Handy aus: Wäre das ein schöner Gedanke oder würde dich das unruhig machen?
Das würde mich wahnsinnig machen. Darum ist die einsame Hütte im Wald auch tatsächlich nur ein Traum – weil es da kein W-LAN gäbe. ☺
9. Wo siehst du dich in 5 Jahren?
Das ist eine echt schwere Frage … In fünf Jahren möchte ich eigentlich nur noch vorm Mikro stehen. Dann würde ich gerne mal die Königsdisziplin angehen und ein Hörbuch aufnehmen. Nur noch Sprecher sein. Und natürlich auf der Bühne stehen. Also doch nicht nur eine Sache allein. ☺
10. An welchen Punkt deiner Vergangenheit würdest du gerne zurückgehen?
Ich würde an einen Punkt meines Lebens zurückgehen, an dem ich noch nicht bei der Bundeswehr war. Dann würde ich, natürlich nur mit dem Wissen von heute, trotzdem wieder eine Schauspielausbildung machen und es diesmal richtig durchziehen. Und dann mit Schauspiel und Musik auf der Bühne stehen.
11. Was war die beste Idee in deinem Leben?
Eigentliche keine Idee, sondern eher eine Erkenntnis: Dass man nichts muss. Dass es nicht nur einen Weg, sondern viele verschiedene gibt. Die beste Idee in meinem Leben kommt ganz bestimmt noch.
12. Heute mal richtig faul sein: Wie sieht das aus?
Dann setz ich mich aufs Fahrrad, fahr irgendwo ins Grüne und beweg mich ganz langsam. Entschleunigung ist da ganz wichtig, keine Hektik.
13. Auf einer Skala von 1-10, wie geht es dir heute?
Eine 8. Je älter ich werde, desto besser geht’s mir.
Quickreport //
1.süss oder salzig? salzig
2. morgens oder abends? abends
3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? weniger ist mehr
4. lieber allein oder am liebsten mit vielen? lieber allein
5. auto oder fahrrad? fahrrad.
6. sekt oder selters? sekt
7. berge oder meer? meer
8. electro oder pop? punkrock
9. bleistift oder kugelschreiber? bleistift
10. rom oder hongkong? rom
found // by carsten
Viktor ist exakt das, was ich mir unter einem coolen und lässigen Mann vorstelle. Der tut nicht nur so, der ist so, wie er da steht – wo auch immer das gerade ist. Viktor, ein echter ‚Hamburger Jung’, ist klar, hat eine wohl überlegte Haltung zu den Themen des Lebens und vertritt diese auch – und das sehr eloquent und geschliffen. Dabei wirkt er meistens entspannt mit einer gesunden Portion Selbstironie. Einfach ein „guter Typ“, mit dem sich aufs Angenehmste Zeit verbringen lässt.
Hätte ich Viktor nicht privat kennengelernt, könnte er mir allerdings schon Respekt einflößen. Schließlich ist er nicht nur im Kopf sehr gut in Schuss. Gemeinsam mit seiner Präsenz hilft ihm das ganz sicher, egal, ob nächtens vor der Tür eines Clubs oder bei einem seiner absolut sehenswerten Bühnenauftritte. Da hört man dann auch seine einschmeichelnde Stimme – die dritte Säule, auf die er sein berufliches Leben gestellt hat. Alles in allem: Kein Typ für eine Kurzbeschreibung – Aber umso mehr wert, kennengelernt zu werden.
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