PETRA KILIAN

INTERVIEW——— by Anne Simone Krüger,  photo by PETRA HERBERT, AD BY Cris Sebiger-Bertram //

Fiber Art ist die Fachbezeichnung für Kunst, deren Material Textil in allen seinen Varianten ist. Stoffe, Garne, Fäden sind die Instrumentarien, mit denen die sinnlich erfahrbare und gleichzeitig inhaltlich aufgeladene Arbeiten schafft.

Wo andere Künstler mit dem Pinsel kritisieren denkt sie mit der Nadel über die Welt nach. Nadelscharf ist aber auch ihr Humor, der mit einem lauten Lachen immer wieder aus ihr heraussprudelt. In einer grünen Ecke Altonas nahe der Elbe befindet sich ihr Atelier in einem Zimmer ihrer als Gesamtkunstwerk gestalteten Wohnung. Ein fließender Übergang von der Kunst in kunstvolles Wohnen – gerne würde man einfach bleiben. Zumal die Künstlerin eine famose Köchin ist und das Gespräch bei einem Abendessen stattfindet, das jeder Food-Blogger neidisch beäugen würde.

Petra gehört, das man merkt man schnell, zu den Menschen, die alles, wirklich alles was sie angehen, mit größter Aufmerksamkeit und Leidenschaft tun…

anne // Du arbeitest viel mit Textil – was war die Initialzündung für dieses Material?

petra // Die Initialzündung hat schon sehr früh in meiner Kindheit durch zwei Einflüsse stattgefunden. Das eine war mein Opa, der ziemlich hart gearbeitet hat. Dennoch hat er sich immer mit künstlerischem Schaffen beschäftigt. Zu sehen, wie intensiv er in solchen Momenten dabei war und wie er darin aufgegangen ist hat auch bei mir die Liebe zur Kunst geweckt. Und das Textil als Material… ich glaube –ich habe das mal hobbypsychologisch erforscht (lacht) – ich glaube letztendlich liegt die Hinwendung zum Textil darin begründet: Die Mutter meiner Mutter ist früh gestorben, kurz vor dem Krieg, ich habe sie nie kennengelernt. Dadurch hat meine Mutter ein sehr heroisches Bild ihrer Mutter und hat mir immer sehr intensiv davon erzählt, dass meine Oma während des Krieges in der Lage war, aus irgendwelchen Stoffen, alten Textilien, die sie irgendwo gesammelt hat – es gab ja nichts, es war ja überall Mangel – die wunderbarsten Sachen zu kreieren. Und gleichzeitig gab es parallel dazu die ganzen Horrorgeschichten von dieser Kriegszeit, also dieser wirklich düsteren und unmenschlichen Zeit. Das hat bei mir ein sehr eindringliches Bild von dem, was Textil kann, wachgerufen. Diese beiden Punkte haben mich schon früh sehr stark geprägt: Auf der einen Seite mein Opa und auf der anderen Seite die Erzählungen von dieser nie kennengelernten Oma.

Lange war es dann so, dass ich, wenn ich mich freikünstlerisch ausdrücken wollte, klassische Medien gewählt habe. Ich habe gemalt, gezeichnet, auch mal Radierungen gemacht. Das hat mich allerdings nicht zufriedengestellt. Parallel dazu fing ich sehr früh an meine Sachen alle selbst zu nähen – also mit Stoff umzugehen. Und habe das dann ja auch zum Beruf gemacht. Ende der 90er wählte ich dann nach und nach auch für den freikünstlerischen Ausdruck das Material Textil.

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petra // Zum einen das, was man glaube ich die psychische spirituelle Ebene nennen könnte: Du wirst geboren und in Textil gehüllt und du stirbst und wirst zur Beerdigung oder der Feuerbestattung auch in Textil eingehüllt. Und es verlässt dich ja dein Leben lang nicht. Du wirst ja permanent täglich so intensiv von diesem Material begleitet. Dadurch verbindet jeder etwas ganz Bestimmtes mit Textilien. Und es sind ganz viele Erinnerungen gespeichert beim Anfassen oder auch nur beim Anblicken von Textil. Das finde ich extrem interessant. Technisch oder gestalterisch ist es natürlich besonders, dass du die Möglichkeit hast, eine extrem haptische Ebene mit einzubringen.

anne // Was ist das Spezifische an der Arbeit mit Stoff?

Und durch dieses Weiche, was dem Stoff innewohnt, bieten sich noch einmal andere Möglichkeiten in den Raum hinein zu arbeiten. Also Räume anders zu gestalten als mit harten Materialien oder mit Malerei.

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anne // In der Geschichte der Kunst wird immer wieder mit Textil gearbeitet- von den wertvollen mittelalterlichen Tapisserien über Louise Bourgeois, Rosemarie Trockel, Cosima von Bonin oder Faig Ahmed – hast du persönliche künstlerische Vorbilder?

petra // Die Künstler und Künstlerinnen die du aufzählst schätze ich sehr. Explizite Vorbilder habe ich nicht. Die habe ich im Leben grundsätzlich nie wirklich gehabt. Menschen die mich inspirieren ja, aber ich würde sie nicht Vorbilder nennen.

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anne // Was inspiriert dich?

petra // Gute Gespräche (lacht). Ja, tatsächlich. Mich inspiriert auch Alltagsgeschehen und zu erfahren, was Leute zu gesellschaftlichen Ereignissen denken. Oder philosophische Texte. Tatsächlich passiert bei mir viel über das geschriebene, gelesene und gesprochene Wort. Also auch den Dialog. Da ziehe ich viel heraus. Und was mich schon immer sehr inspiriert hat und mich schon seit langem begleitet ist die Kunst der Renaissance sowie sakrale Kunst. Das fasziniert mich sehr.

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anne // Was sind die Themen deiner Kunst?

petra // Manchmal denke ich, die menschlichen Abgründe sind so ein bisschen das, was mich immer wieder antreibt. Einerseits die gesellschaftlichen Themen, klar, die ich dann aber mit einer archaischen sinnlichen Wahrnehmung zu verbinden versuche. Gerade das sinnliche Erlebnis ist mir enorm wichtig. So wie ich arbeite, das ist ja schon sehr analog möchte ich mal sagen, das geht ja bis hin zur reinen Handarbeit. Ich habe tatsächlich letztendlich angefangen Textil als Medium meiner freien Kunst zu nutzen als das digitale Zeitalter ja schon ziemlich vorangeschritten war. Manchmal fühlt sich das an wie eine bewusste Entscheidung.

Vielleicht geht es mir darum, dem digitalen Zeitalter etwas entgegenzuhalten. Um die Sinnlichkeit, die natürlich durch die digitalen Internet-Geschichten und so weiter verloren geht, zu erhalten. Denn sinnliches Erleben ist einfach etwas Urmenschliches.

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anne // Vom Textil zum Text ist es nicht weit – die Strukturen von Gewebtem und Sprache ähneln sich überraschend. Sprichworte zeigen dies ohne dass wir es im Alltag reflektieren – Wir sprechen vom Roten Faden und meinen einen Sinnzusammenhang im Text, wir sprechen von verwobenen Sätzen und benutzen das gleiche Wort wie der Teppichweber, eine Geschichte ist versponnen und dennoch kein Gespinst… in einer deiner Werkserien geht es um Kommunikation. Was fasziniert dich an diesem Thema?

petra // Kommunikation war immer eins meiner Themen. Ich verwende ja tatsächlich auch wirklich geschriebenes Wort in meinen Arbeiten oder in der Werkserie „Welcome to the App-Store“ Piktogramme, Icons, die ja auch eine Metapher sind. Die geschriebenen Wörter in meinen Arbeiten sind für mich auf doppelte Weise haptisch: Wenn ich ein Wort sehe und lese, dann erzeugt es in mir einen Klang, das heißt es findet auf der sinnlichen Ebene eine Berührung statt, die sich im Material Textil formal wiederfindet.

Gleichzeitig gibt das ja ganz oft, dass auf Textil geschrieben Worte an Menschen dran geheftet werden. Darüber finden sich Gruppen oder es werden zwangsweise Gruppen zusammensortiert in dem man ihnen irgendwas anheftet, das sie sofort erkennbar macht. Und auch das Wort, Kommunikation, die direkte Kommunikation – das ist wahrscheinlich wieder etwas archaisch Analoges was mich daran interessiert.

Und dann ist es ja auch so irre, wieviel in der Sprache tatsächlich diese textilen Metaphern eingebaut sind. Wenn man da wirklich mal drauf achtet, dann ist es verrückt. Allein wenn man sagt über eine Kennzeichnung an der Kleidung in Form eines Schriftzuges oder eines Zeichens ‚verbinden’ sich Gruppen oder werden Gruppen verbunden. Da hast du es schon wieder.

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anne // Immer wieder wird die Arbeit mit Textil explizit Künstlerinnen zugeschrieben, obwohl Männer sich des Materials genauso bedienen – wirst du als Frau die mit Textil arbeitet ernst genommen oder hast du auch schon gegenteilige Erfahrungen gemacht?

petra // Dazu kann ich jetzt gar kein so konkretes Beispiel nennen. Weil das Ganze so subtil abläuft. Aber ja, ich würde sagen ja, da gibt es auf jeden Fall Urteile, die aber unterschwellig ablaufen. Das ist eher so, dass du in einem Gespräch einen Satz hörst und am nächsten Tag – kennst du das, wenn du am nächsten Tag denkst: Äh, was hat die da gestern gesagt? Das ist etwas, was mir eben nicht nur von Männern entgegenkommt, sondern auch von Frauen. Woran ich merke, dass es noch etwas ganz Generelles ist. Gerade deshalb sollte man unbedingt mit Textil arbeiten (lacht). Weil es total wichtig ist, dass da mal ein Umbruch stattfindet.

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anne // Textil ist auch der Stoff der Mode – du hast eine Ausbildung als Kostümbildnerin gemacht und dich viel mit Mode beschäftigt – bist du selbst ein Mode-Freak? Wenn wir in deinen Kleiderschrank schauen würden, was würde uns dort für ein Bild erwarten?

petra // Ich glaube es ist nicht nur ein Schrank, ja (lautes Lachen). Mittlerweile muss ich sagen ist ja mein Kleiderschrank glaube ich eher so eine kleine Sammlung geworden (lacht). Eine auf mein Körpergefühl abgestimmte kleine Sammlung. Das älteste Teil ist ein Abendkleid aus den 20er Jahren, es geht bis über die Jockey-jacke der 60er. Aber du findest auch ziemlich viel aus den 2017ern-Jahren.

Mode-freak – weiß ich gar nicht. Ich glaube… ich ziehe mir auch manchmal Sachen an, die jetzt vielleicht nicht grade modern sind, aber die für mich an dem Tag ein Körpergefühl ausdrücken. Also ein Gefühl, dass ich grade heute gerne fühlen möchte, eine Rolle, in die ich schlüpfen möchte. Obwohl, letztendlich ist Mode ja auch genau das.

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anne // Wie sieht für dich ein perfekter Arbeitstag aus?

petra // Für mich ist der perfekte Tag, wenn der so gelaufen ist, dass ich am Abend sagen kann: Ich habe heute wieder was dazugelernt. Ansonsten Rituale… ich fange morgens an mit meditieren, so 10 Minuten… nee, als erstes mache ich natürlich meinen Kaffee, das ist klar. Ohne geht gar nichts. Und dann meditiere ich und dann sind die Tage sehr unterschiedlich.

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anne // Wenn du ein Abendessen für Persönlichkeiten ausrichten dürftest die dich persönlich in deinem Leben am meisten fasziniert haben, wer würde mit dir am Tisch sitzen?

petra // Da es so viele tolle inspirierende Menschen gibt und gab ist es total schwer eine Auswahl zu treffen. Also jetzt mal zur aktuellen Frauendebatte – wen ich mir da gut als Runde vorstellen kann sind Simone de Beauvoir, Michelle Obama und Ewa die Rapperin. Diese verschiedenen Generationen und verschiedenen Denkansätze würde ich sehr spannend finden. Und dann müsste man natürlich wegen der Quote noch Männer dazu holen. Das könnten die Cohen-Brüder sein und Peter Habermas, die könnte man gut dazusetzen. Das stelle ich mir als eine ganz interessante Runde vor.

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anne // Wenn du nicht im Atelier bist, wo würden wir dich in Hamburg am ehesten antreffen?

petra // An der Elbe und im Kostüm-Fundus.

Danke für dein Mitmachen – und das du uns teilhaben lässt.


Quickreport//

1. süß oder salzig? süß

2. morgens oder abends? abends

3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? beides gut

4. lieber allein oder am liebsten mit vielen? die gesunde balance

5.auto oder fahrrad? fahrrad

6. sekt oder selters? selters

7. berge oder meer? meer

8. elektro oder pop? pop

9. bleistift oder kugelschreiber? bleistift

10. rom oder hongkong? hongkong


PHOTO BY

PETRA HERBERT


INTERVIEW BY

ANNE SIMONE KRÜGER



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