photo walter schels // interview & text cris // peter hönnemann // Er mag Künstler, Poeten und ihre Zitate. Peter versteht sich nicht nur als fotografischer Beobachter, sondern als Regisseur eines Bildes. Das Zwischenmenschliche, das, was mit ihm und seinem fotografischen Gegenüber passiert, ist das, was ihn antreibt, umtreibt und was er sichtbar machen möchte…
… Das ist Chemie, da treffen mindestens zwei „Substanzen“ aufeinander, die reagieren, explodieren, überkochen, still vor sich hin brodeln…
Reaktionslos bleibt es wohl selten mit Peter, denn das hält er mit Sicherheit selbst nicht aus — da wird dann eben Hand angelegt, nachgefragt, provoziert oder inszeniert um etwas herauszulocken was man so noch nicht gesehen hat.
Peter ist für mich wie „Der wilde Reiter auf dem Pferd“, auf dessen Sattel man sich schwingt — bei der Suche nach dem „Sinnhaften“. Das ist aufregend, anstrengend und wundervoll bereichernd —wie gut, dass Peter das Talent hat, diese Momente auch fotografisch festhalten zu können … tendaysaweek
1. Disziplin, Liebe, Leidenschaft, Geld: Welche Begriffe verbindest du mit deiner Arbeit?
Obsession und Hingabe. Ich fokussiere mich auf mein Gegenüber – und vergesse dabei Raum und Zeit. Die Lust daran motiviert mich weiterzumachen und immer wieder neue Bilder zu schaffen – unabhängig von Erfolg und Kritik. Ich liebe diesen Satz von Paul Éluard: „Es gibt eine andere Welt, aber sie ist in dieser.“
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2. „In guten wie in schlechten Zeiten“ — Was ist deiner Meinung nach heute die größte Schwierigkeit dabei, Fotograf zu sein?
Wir ertrinken in einem Ozean der Belanglosigkeiten — großartige Bilder werden durch die Flut von substanzlosen Selbst-Vermarktungen in den sozialen Medien kaum noch wahrgenommen. Das mag daran liegen, dass es vielen Menschen leider an Aufmerksamkeit und Beachtung fehlt. Viele Bilder im Netz sind ein „Schrei nach Liebe“: Hier bin ich …es gibt mich … ich lebe …ich bin da … ich bin bedeutend… sieh mich…liebe mich!
Auch viele Medien interessieren sich seltener für Qualität – es geht ihnen vor allem um Berühmtheiten oder Masse: Wie viele Likes hat das Bikinibild und welches Motiv kann unmittelbar kommerzialisiert werden?
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3. Was war deine Initialzündung in Sachen Fotografie?
Ich habe schon mit 14 Jahren angefangen zu fotografieren und kurze Zeit später schon Geld damit verdient. Ich erinnere mich an die ersten Bilder: Portraits von Kindern aus der Nachbarschaft. Durch einen dieser Kontakte fotografierte ich später meine erste Modestrecke und hatte eine kleine Ausstellung. Irgendwie begeisterten meine Bilder ihre Betrachter. Trotz dieser schon damaligen Intuition, Bilder schaffen zu wollen, habe ich eine kaufmännische Lehre abgeschlossen, BWL studiert und nebenbei weiter fotografiert und mich stundenlang in der Dunkelkammer aufgehalten. Es gab für mich keinen Ausweg. Die Leidenschaft für die Fotografie war zu groß, ich musste ihr folgen.
Mitte der Achtziger begann eine wirklich spannende Zeit in der Modefotografie. Peter Lindbergh tauchte auf und begeisterte mich. Er machte Bilder von Frauen die rauchten, Wein tranken, sinnlich waren – nicht unbedingt sterile Schönheiten, sondern eher Frauen, die das Leben in allen Zügen genossen — er „erschuf“ ein neues Frauenbild. Auch das Männliche in der Frau kam auf. Mich hat das damals sehr fasziniert und ich wollte unbedingt sein Assistent werden. Ich fragte – doch er meinte nur, nachdem er meine Arbeiten angesehen hatte, ich sollte doch einfach weiter fotografieren — assistieren müsste ich nicht. Das war einerseits enttäuschend, weil ich ja unbedingt mit ihm arbeiten wollte, auf der anderen Seite war es aber natürlich ein großartiges Kompliment. Mit 25 Jahren habe ich mich dann entschieden, mich vollends der Modefotografie zu widmen. Erst Mailand, dann Paris. Ich fand eine tolle Agentin und innerhalb kürzester Zeit war ich in den renommiertesten Mode-Magazinen. Ich fotografierte Kampagnen für Dior, Valentino, war in der Marie Claire, italienischen Vogue und, und, und… Nach ca. 15 Jahren im Modezirkus kam die Sinnkrise. Bei einem Shooting für die deutsche Elle in New York fragte ich mich: „Wieso liege ich hier auf der Straße im Dreck, nur um eine tolle Perspektive zu haben? Wieso stecke ich meine ganze Leidenschaft in etwas, das am Ende doch nur Handtaschen und Kleider verkaufen soll?“ Das war ein Schlüsselmoment. Ich wollte etwas verändern – Menschlichkeit, Alter, Außergewöhnliches in die Mode bringen – doch das wollte die Mode nicht — und das, was die Mode wollte, wollte ich nicht mehr. Heute kommt es mir vor, als hätte ich mich damals selbst gerettet.
Dann kamen die Portraits und es wurde wieder richtig aufregend…endlich etwas, das an die Substanz ging, unter die Haut – im besten Sinne. Ich war so hungrig nach `echten Menschen ́, nach den vielen Jahren in der artifiziellen Welt der Mode.
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4. Auch du beschäftigst dich wie Walter mit Tabuthemen wie Transsexualität, Misbehavior, Exzess oder dem Triebhaften — Du liebst das japanische Buch „Lob des Schattens“, wie du sagst. Ist das die Idee deiner Bilder, durch Ästhetik Angst überwinden?
Ästhetik kann schön, bizarr, alles sein – sie stellt im besten Fall einen spannenden Bezug zum Inhalt dar.
Perfektion ist für mich eine langweilige Utopie, die in unserer Zeit leider als ultimativ erstrebenswertes Ziel gesehen wird. Ich bin Humanist und ich sehe im Paradoxen – im Makel – die Schönheit. Die glatte Oberfläche ist uninteressant und selten echt. In einem Lied von Leonard Cohen heißt es: „There is a crack in everything/ That’s how the light gets in“ — treffender und poetischer kann ich es nicht sagen.
Angst gehört zum Leben dazu – ist aber nicht mein Fachgebiet. Sie soll mir einfach nicht im Wege stehen.
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5. Geht es da nicht auch um Provokation?
Ich glaube nicht, dass Provokation meine Motivation ist. Wenn sich jemand provoziert fühlt, kann das natürlich auch mal ganz amüsant sein. Aber nein – es geht mir viel mehr darum, Neuland zu erkunden – Ungesehenes sichtbar zu machen – auch im Dialog mit meinem Modell. Dabei spielen Intimität und Grenzüberschreitung immer wieder eine herausfordernde Rolle.
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6. Entstehen deine Bilder eher intuitiv oder werden sie konzeptionell geplant?
Ich bin in beidem extrem. Einerseits möchte ich meine Bilder präzise nach meinen Vorstellungen umsetzen — „The devil is in the details“. Auf der anderen Seite liebe ich es, mich voll und ganz auf das Unbekannte und Zufällige einzulassen, denn aus Fehlern oder Zufällen kann auch etwas ganz Neues und Einzigartiges entstehen.
In meinem 24h Projekt mit Jonathan Meese sind fast alle Bilder intuitiv und ohne Konzept entstanden. Die Götter waren wohl bei uns zu Gast, vor allem Dionysos und Apollon. So kamen Bilder zum Vorschein, die man gar nicht hätte planen können. Sie entstehen aus einer Art rauschhafter Energie. Natürlich ist das eher bei ganz freien Projekten so, wobei ich mittlerweile auch bei Auftragsarbeiten größeren Freiraum habe. Ich schaffe mir gerne einen kreativen Spielplatz, auf dem alles passieren kann und darf. Ich liebe es, wenn Bilder aus sich selbst heraus entstehen können und ich dabei staunender Zeuge meines Schaffens sein darf. Alles, was man dafür tun kann, ist, gute Rahmenbedingungen zu schaffen.
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7. Loslassen und sich einer Sache hingeben, du forderst auf und heraus, bist ein aktiver Gestalter, verausgabst dich bei deinen Aufnahmen. Ist das „Herausfordern“ die Herausforderung?
Ich kann nur so — es ist meine Betriebstemperatur, bei mir muss es brennen, ich bin ungern lauwarm. Wenn ich fotografiere, bin ich ganz darin, sonst empfinde ich keine Erfüllung und auch keine Genugtuung.
Ich bin beim Fotografieren viel aufmerksamer als sonst im Leben und lasse mich voll und ganz auf den Moment und den Menschen ein. Achtsamkeit, Direktheit und auch Stille sind für mich dabei Schlüssel um zum Innersten zu gelangen. Es muss fließen – denn Fließen ist das Wesen des menschlichen Lebens. Es ist wie eine Reise zum Sein und das Sein sollte man einfach nur Seinlassen.
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8. „Kunst ist nicht, was du siehst, sondern die Anderen sehen lässt!“, ein Zitat von Degas, das du in einem wunderbaren Text für „Blickfang“ zitiert hast. Ist das so, möchte man nicht doch etwas zeigen, was man selbst sieht, fühlt oder glaubt und man sucht dafür solidarische Anhänger?
Dieses Zitat entspricht heute nicht mehr ganz meiner Meinung. Ich würde hinzufügen: „Ich sehe etwas, was du nicht siehst“ ist der erste Schritt in die Kunst.
Man kann nur senden oder empfangen wofür man selbst offen ist. Ein Fotograf zeigt uns seine Welt immer mit seinem Blick. Erst wenn der Betrachter diesen erkennen kann, wird der Blick darauf ein gemeinsamer. Doch es bleibt auch immer subjektiv. Wir wissen und verstehen nie alles.
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9. Verändert sich dein Bild des Menschen, nachdem du ihn portraitiert hast?
Ich verspüre nach einem gelungenen Shooting größere Nähe zu der Person als vorher. Ich kann zu Menschen sehr schnell unmittelbare Nähe erleben. Ich bin zwangsläufig erwachsen geworden, habe mir aber diese unverstellte, unschuldige Offenheit eines Kindes bewahren können. Beurteilungen, Bewertungen oder analytisches Denken verstellen mir da den Weg zum Gegenüber.
Wir Menschen haben eine Sehnsucht danach, gesehen zu werden und gleichzeitig Angst davor. Man könnte sagen: Am Anfang eines Shootings ist die Nähe intuitiv; danach weiß ich auch ein wenig, warum.
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10. „Little Art Affair“ ist eine Begegnung besonderer Art zwischen Künstler, Fotografen und Interviewer. Dieses Mal haben wir dich und Walter Schels eingeladen, euch gegenseitig zu portraitieren. Was hat dich an dieser „kleinen Liaison“ begeistert, irritiert oder gar inspiriert?
Wir kennen uns schon viele Jahre – sehen uns immer wieder auf Ausstellungen. Ein Portrait von ihm zu machen hat mich unglaublich gereizt, denn er ist für mich der Grand Seigneur des Portraits. Vor Walters gewaltigem Werk muss man sich einfach verbeugen. Die Themen, die er behandelt hat, sind die essentiellen Themen des Lebens — er ist ein großer Humanist mit einer alten Seele. Wir behandeln auch gleiche Themen, stellen sie aber unterschiedlich dar.
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11. Ist dein Bild, das du von Walter hattest, nun ein anderes oder hat es sich bestätigt?
Ich habe Walter immer schon als einen extrem liebenswerten Menschen wahrgenommen und so ist er mir auch dieses Mal begegnet. Seine Augen berühren mich. Es ist sein Blick, der eine gewisse Melancholie in sich birgt, sowie Milde und Menschenliebe. Und was haben seine Augen schon alles gesehen … Mein Gott, Walter! Mein Vater hieß übrigens auch Walter.
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12. Welchen guten Gedanken würdest du ihm gerne mit auf den Weg geben?
Das Zitat von Christoph Schlingensief: „So schön wie hier auf Erden, kann es im Paradies doch gar nicht sein.“ Also, …bleib uns so lange wie möglich erhalten — unsere Welt braucht mehr denn je einen Menschen wie Dich!
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13. Auf einer Skala von 1-10, wie geht es dir heute?
8, die Sonne scheint
Danke für dein Mitmachen – und dass du uns teilhaben lässt.
interview walter schels
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Quickreport:
1.süß oder salzig? salzig, manchmal überkommt mich aber auch die lust süß.
2. morgens oder abends? abends in städten – morgens im bett.
3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? „as simple as possible, but not simpler.“
4. lieber alleine oder am liebsten mit vielen? am liebsten mit vielen lieben.
5. auto oder fahrrad? fahrrad
6. sekt oder selters? rotwein und wasser.
7. berge oder meer? berge mit meer — ein himmel voller sterne
8. electro oder pop? gute musik jeglicher couleur. für mich geht nichts über nina simone oder jaques brel.
9. bleistift oder kugelschreiber? füllfederhalter
10. rom oder hongkong? rom
11. wahrheit oder pflicht? wahrheit. birgt aber große gefahren und ist nicht jedermanns sache.
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