hönnemann meets schels

photo peter hönnemann // interview & text cris // walter schels ist für mich ein echter „Menschenkenner“. Seine Augen haben viel gesehen und erlebt und sind dabei kein bisschen müde geworden. Er hat mit seinem unfassbar großen Werk versucht, sich und uns ein Bild über das Sein des Menschen zu machen…

Sein Blick ist ruhig und analytisch, er lässt sich und seinem Gegenüber viel Zeit und Raum, um den Moment abzuwarten, in dem der Kopf nicht mehr den Ausdruck bestimmt. Das sind sie für Ihn, die wahren Portraits, auch wenn sie nicht im herkömmlichen Sinne die schönsten sind. Denn das, was da zum „Ausdruck“ kommen kann, ist manch Einem zu viel, ungewohnt oder macht sogar Angst. Seine Arbeiten sind durchaus auch ein Ausdruck seiner eigenen Ängste oder Konflikte. So fotografiert er Menschen im Hospiz oder macht Portraits vom Transsexuellen, denn die Abweichung von der Norm ist etwas was ihn interessiert.

Ich bewundere seine Sicht auf die Welt und die Menschen und ich glaube ihm, was er uns mit seinen Bildern zeigen will. 

Es lohnt sich, genau hin zu sehen und eigentlich überrascht es nicht, dass dadurch oft ein ganz anderes Bild dabei herauskommt, als der erste Eindruck glauben ließ.

 

Danke dir für diese Einsicht… tendaysaweek.


1. Disziplin, hohe Leidensfähigkeit, Liebe, Leidenschaft, Geld — was sind, die Begriffe, die du mit deiner Arbeit verbindest?

Leidenschaft ist für mich die Grundvoraussetzung, um Fotograf zu sein. Entweder man „muss“ oder man „muss nicht“ — man hat keine Wahl, es ist ein Zwang. Jede Form des AUS -DRUCKS hat den Druck heraus kommen zu müssen. Der innere Ausdruck ist notwendig – für jeden, der Kunst machen möchte. Und da möchte man nicht, man muss.

Mit einer Form des Ausdrucks setze ich mich schon seit Jahren auseinander. Ich sammle Bilder zu dem Thema „Schrei“. Nicht nur solche, die ich selbst fotografiert habe, sondern auch Bilder aus Zeitungen und Magazinen. Was bei einem Schrei zum Ausdruck kommt, welcher innere Druck da herauskommen muss, ist etwas, was mich beschäftigt. Besonders interessant finde ich dabei den „Sportschrei“, obwohl mich Sport ansonsten null interessiert. Der Ausdruck eines „Siegesschreis“, dieses Loslassen der Anspannung. Da hat man jahrelang auf etwas hin trainiert, sich gequält und dann kommt die „Erlösung“, der Sieg. Mit geballter Faust, ein Aufschrei — der Schrei gebührt dem Sieger. Der Verlierer hingegen schweigt und senkt sein Haupt. Sport hat generell eine wichtige Blitzableiterfunktion für Aggressionen. Für den, der ihn betreibt genauso, wie für das Publikum.

Ein anderes Dauerdruckthema wäre das „Lächeln“, vielmehr der Unterschied zwischen einer herzlichen oder einer konventionellen Geste der Muskelbewegung, die wir dann Lächeln nennen. Oder meine Arbeiten mit Transsexuellen. Ich portraitiere sie über mehrere Jahre im halbjährlichen Abstand, bis zur Geschlechtsumwandlung.

Dann versuche ich mein Archiv mithilfe meiner Frau Beate aufzuarbeiten. Das ist eher ein Leidensdruck. Ich bin ein Chaot, hätte ich doch nur meine Negative beschriftet. Es ist fürchterlich … da ist eine Etage voll mit Arbeiten aus mehr als 50 Jahren.

Ich habe den Druck mich auszudrücken und mache viele solcher Projekte oder Experimente. Schlussendlich ist dieser Druck bei vielen Menschen vorhanden. Deswegen haben auch diese ganzen Nonsens-Plattformen, die sozialen Medien, einen so großen Erfolg. Diese Ausdrucksmedien werden regelrecht zur Sucht. Ich bin nach vielen Dingen süchtig, aber Gott sei Dank danach nicht.

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2. Deine Initialzündung in Sachen Fotografie?

Ich habe mir in jungen Jahren, als es überhaupt noch nicht üblich war, eine Kamera zu haben, eine nagelneue Leica gekauft. Seitdem bin ich Fotograf. 😉

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3. Du fokussiert mit deiner Kamera etwas, wo andere lieber wegsehen möchten und stellst Tabuthemen wie Tod oder Transsexualität sensibel und absolut ästhetisch dar. Ist das die Idee deiner Bilder, durch Ästhetik Angst zu überwinden?

Die Ästhetik mache ich in erster Linie für mich selbst. Sie ist mein Anspruch an meine Arbeit. Ich habe sicher einige Bilder gefertigt, die ich nicht zeigen würde, denn ich möchte Menschen nicht verletzen. Es gibt Grenzen dessen, was vertretbar ist. Bei meinen Portraits von Toten habe ich versucht, sie so zu fotografieren, dass sie die Angst nicht verstärken. Also nicht nur die des Betrachters, sondern auch meine eigene Angst vor der Leiche oder dem Tod. Ich bin ein traumatisiertes Kriegskind, bei Kriegsende war ich 9 Jahre. Und wie man wissenschaftlich belegt hat, sind genau diese ersten Lebensjahre die prägenden für das spätere Leben. Was du da erlebst, bekommst du nicht mehr raus.

Für mich gibt es drei in sich abgeschlossene Phasen des Lebens — quasi 3 Leben in einem. Ein Leben vor der Geburt, die Geburt und ein Leben nach der Geburt, das mit dem Tod endet. Ob dies ein Zyklus ist, eine Wiedergeburt, das weiß ich nicht. Ich bin im Prinzip ein ungläubiger Mensch, aber auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, dass es Dinge gibt, die wir noch nicht begreifen, so wie man vor hundert Jahren nicht begreifen oder voraussehen konnte, was ein iPhone, ein Computer, Fernseher oder ein Hubschrauber sein soll. Was vor hundert Jahren ein Wunder war, ist heute Alltag. Ich bin davon überzeugt, dass es feinstoffliche Dinge gibt, gewissermaßen Wellen in unserem Hirn, die übertragen werden können, so ähnlich wie bei einem Fernseher ebenfalls Wellen ein Bild übertragen können. Sympathie und Antipathie sind zum Beispiel zwischenmenschliche Wellen, die wir senden und spüren können.

Aber was wissen wir von den vielen Möglichkeiten, die noch in der Natur stecken? Leben, Tod, Wiedergeburt, das hat meiner Meinung nach mit einem Gott im konventionellen Sinne nichts zu tun. Ich weiß nicht, ob es ein Leben nach dem Tode gibt, ich war noch nicht tot. Ich persönlich glaube nicht daran … aber „who knows “?

Sich fotografisch mit Ängsten auseinanderzusetzen, beruht einfach auf einem generellen Bedürfnis, das nicht „Normale“ besser kennenzulernen und sicher auch auf dem Wunsch nach Identität, der Begeisterung und nach Gleichgesinnten. Die Kamera ist dabei für mich ein Hilfsmittel, um Menschen näherkommen zu können und sie zu begreifen.

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4. Hast du Angst vor dem Tod?

Ja — ich habe mein ganzes Leben lang Angst gehabt, aber mein Bedürfnis war immer, meine Ängste zu überwinden. Ich habe mich nicht gedrückt davor, ich habe mich ihnen gestellt. Existenzangst, Krankheit, Tod, Leichen, Särge…  Ich hatte, als Kind wohl schreckliche Erlebnisse, die für diese Ängste ausschlaggebend sind. Deswegen habe ich den Tod vermutlich auch fotografisch zum Thema gemacht.

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5. Portraitieren gilt als die Königsklasse der Fotografie — wie schafft man ein perfektes Menschenbild?

Für mich ist das eine Frage von Erfahrung und von Stimmungen. Mittlerweile weiß ich ungefähr, was ich möchte, ob mir das gelingt, ist allerdings eine ganz andere Sache. Gerade was die Portraits betrifft, gibt es das Problem, dass ich etwas machen muss, was dem anderen gefällt. Es gibt ein beidseitiges Bedürfnis geliebt zu werden – ich möchte für meine Arbeit geliebt werden und der Porträtierte für sein Porträt. Das ist ein existenzielles Thema für jeden Menschen und beginnt im Grunde schon vor der Geburt. Wir erleben Ablehnungen oder unterschiedliche Gefühle schon im Mutterleib. Zudem tragen wir Anlagen von zwei Personen, unseren Eltern, wie auch deren Vorfahren in uns. Aus vielen, vielen genetischen Mustern entstehen schlussendlich wir – und dafür wollen wir gesehen und geliebt werden.

Ohne dies gäbe es keinen sportlichen Wettkampf, keine Politik, nicht den Wunsch nach dem Sieg und nicht den Wunsch nach Liebe. Das Leben beginnt schon mit einem Wettkampf, indem Ei und Spermien zusammen kommen.

Es gibt sicher auch Portraits, die einfach nur gut aussehen müssen. Schauspielerportraits z. B. müssen die Möglichkeiten spiegeln, die mit diesem Gesicht zu erreichen sind, welcher Rollentyp darin steckt.

Ich bin, was das Portrait betrifft, reduzierter. „Sauschwer“ ist es, ein mimikloses Portrait hinzubekommen. Den Zustand festzuhalten, wenn die vielen Muskeln, die unseren Ausdruck bestimmen, locker lassen. Wenn diese Mimikfalten quasi entfaltet sind, dann bleibt einzig die Grundstimmung eines Menschen. Dieses selbstvergessen sein, als wären wir alleine, ohne etwas sein zu wollen, das ist etwas, was mich interessiert. Eine direkte Gelassenheit zwischen Fotograf und zu Portraitierendem herzustellen und festzuhalten, das sind kurze Momente und die Portraits, die ich mir wünsche. Früher wurden meine Portraits deshalb auch mal abgelehnt, weil das nicht unbedingt das Bild ist, wie man sich sehen möchte. Ich habe meine Fotos dann seitenverkehrt vergrößert, denn das ist ja das gewohnte Bild, was man von sich selbst aus dem Spiegel kennt. Es geht bei einem Portrait immer um die persönliche Einstellung zu sich selbst. Ich finde sehr selten Menschen, die sich leiden mögen. Und meist mögen sie sich noch weniger, wenn sie frontal fotografiert werden. Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken, wie ich am besten fotografiere, ich spüre. So wie ich aufgehört habe, darüber nachzudenken, wie ich spreche. Ich fühle die Proportion, die Nase, den Mund, die Augen …den inneren Ausdruck.

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6. Du erstellst gerne Horoskope von Menschen, die du portraitierst — was sagen dir die Sterne? Etwas, das du selbst nicht sehen kannst?

Das ist wie bei einer Analyse des Blutes, wodurch man erkennen kann, wie die verschiedenen Organe funktionieren. Das Gesicht zeigt subjektive Dinge, das Horoskop zeigt objektive Dinge. Astrologie ist Mathematik und zeigt dir Zusammenhänge. Ein Horoskop zu erstellen, ist dennoch eine hohe Kunst, es ist eine eigene Sprache, ein eigener Code, durch den man einen Menschen jenseits der subjektiven Wahrnehmung analysieren und verstehen kann. Man könnte sagen, dass das Gesicht und das „Horoskop“ eines Menschen zu lesen, das Gleiche ist, nur in zwei verschiedenen Sprachen.

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7. Ist nicht auch jede Betrachtungsweise von außen durch eigene Erfahrung geprägt? Wie kann man als Fotograf ein neutraler Beobachter werden

Ich glaube, es gibt überhaupt nichts Neutrales. Jemand anderes hat eine ganz andere Wellenlänge, denn es gibt nichts, das lebt, was gleich ist. So wie die DNA nie einer anderen gleicht. Sie kann nur ähnlich sein. Wenn eine Ähnlichkeit da ist, könnte ich mir vorstellen, in Ansätzen neutral zu sein, aber auch das ist eher unwahrscheinlich.

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8. Verändert sich dein Bild des Menschen, nachdem du ihn portraitierst hast?

Ich lerne eine Person durch mein Portrait erst richtig kennen. Ich versuche davor, mir kein konkretes „Vorbild“ oder Muster vorzustellen, dass ein Mensch so oder so sein könnte. Diese Vorbilder haben nämlich meistens mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Gerade neulich hatte ich eine solche Erfahrung mit jemandem, den ich nicht kannte. Ich hatte das „Vorbild“ oder auch „Vorurteil“, dass wir nicht miteinander klarkommen würden und hatte deswegen auch keine große Lust, mich zu verabreden. Die Wirklichkeit war aber eine ganz andere, wir haben uns kennengelernt und er wurde mir sympathisch. Ich musste also mein „Vorbild“ löschen und ein Neues machen.

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9. Little Art Affair, eine Begegnung besonderer Art zwischen Künstler, Fotograf und Interviewer. Dieses Mal haben wir dich und Peter Hoenneman eingeladen, sich gegenseitig zu portraitieren. Was hat dich an dieser kleinen Liaison begeistert, irritiert oder gar inspiriert?

Peter und ich kennen uns seit vielen Jahren und ich bewundere seine Arbeit, der er mit einer sichtbaren Leidenschaft nachgeht. Dieses Projekt mit Jonathan Meese zum Beispiel gehört dazu, sich gemeinsam einzuschließen und aufeinander einzulassen – ohne Leidenschaft macht man nicht so verrückte Bilder. Ich schätze ihn als Fotografen, menschlich kennen wir uns nicht gut genug. Ich habe kein „Vorurteil“,  das ihn in irgendeine Schublade steckt, sondern er ist mir über seine Arbeit sympathisch. Das ist ein Bezugspunkt. Der andere Bezugspunkt ist, dass er mich eingeladen hat mitzumachen und das macht mich neugierig:

Neugierig darauf, ihn zu fotografieren und auf das, was dabei rauskommt. Neugierig auf das Bild, das er von mir macht.

Es war interessant sich darauf einzulassen, auch wenn ich nicht mit meinem üblichen Licht arbeiten konnte. Bei mir hätte ich anders fotografiert und somit habe ich mehr experimentiert. Ich bin immer ein Freund von Improvisation, denn es gibt keinen schlechten Zufall. Der Zufall ist generell mein bester Freund und ich lasse mich gerne überraschen. Auch von dieser Begegnung.

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10. Ist dein Bild, das du von Peter hattest, nun ein anders oder hat es sich bestätigt?

Ich wusste nicht wie er arbeitet und ich war-  zugegeben –  überrascht. Ich hatte nicht die Vorstellung, dass er das mit  einem solchen Aufwand durchzieht, ich bin da „bequemer. Wir sind zwar das gleiche Tierkreiszeichen, aber arbeiten völlig unterschiedlich. Peter hat auch eine gänzlich andere Energie, ich bin distanzierter oder scheuer.

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11 .Welchen guten Gedanken würdest du ihm gerne mit auf den Weg geben?

Der Zufall ist ein guter Freund.

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12. Auf einer Skala von 1-10 wie geht es dir heute?

6-7

 

Danke für dein Mitmachen – und dass du uns teilhaben lässt.

interview peter hönneman


Quickreport:

1.süß oder salzig? salzig

2. morgens oder abends? morgens

3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? weniger ist mehr, wäre mein wunsch

4. lieber allein oder am liebsten mit vielen? lieber alleine

5. auto oder fahrrad? kommt auf die strecke an

6. sekt oder selters? sekt

7. berge oder meer? meer

8. electro oder pop? weder noch

9. bleistift oder kugelschreiber? bleistift

10. rom oder hongkong? hongkong

11. wahrheit oder pflicht? ist das nicht identisch?


 


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