photo by // daniel cramer, interview by // cris, text by // anne simone krüger // Bettina Steinbrügge, Direktorin des Hamburger Kunstvereins, hat sich mit ihrem facettenreichen und innovativen Ausstellungsprogramm längst einen Namen gemacht — denn einen Kunstverein zu leiten heißt, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen…
Stets mondän gekleidet und mit einer Souveränität im Auftreten, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie genau weiß was sie tut und was sie möchte sind Kunst und deren Inszenierung ihr Anliegen, ein gutes Team ist oberste Priorität. Auf 200 Jahre kann der Hamburger Kunstverein
zurückblicken – 2017 feierte die Institution sich selbst und die unzähligen Künstler, die seit der Gründung dort ausgestellt haben. Der Hamburger Kunstverein ist der Ort, an welchem viele der heute in den Kanon aufgenommen Namen teilweise das erste Mal große Ausstellungen hatten und der bis heute, neben der Präsentation etablierter Künstler, Raum für Newcomer bietet, von denen man nach ihrem dortigen Auftritt oft noch viel hört und sieht.
Bettina hat Format – was sich sowohl in ihrer Haltung gegenüber der Kunst, als auch zum Leben widerspiegelt. Wir erleben in einem Büro, in welchem Bücher einen Großteil der Einrichtung ausmachen und die Fensterfront auf den Klosterwall wie ein lebendiges Gemälde wirkt, drei intensive Stunden, in denen uns Bettina von ihrer Arbeit im Kunstverein, von ihren Zweifeln am Kunstmarkt, ihren Ansichten über das Wahlverhalten und den Feminismus, aber auch von dem, was sie glücklich macht, ihren Ängsten und ihren unbekannten Seiten erzählt. Diese Offenheit steht ihr gut – tendaysaweek.
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1. Der Eintrag in die Geschichtsbücher als erste Direktorin eines Kunstvereins ist dir sicher — doch nur aus Ruhm und Ehre einen Job zu beginnen wäre ja zu eitel, also was macht den Reiz aus, hier jeden Morgen durch die Tür zu kommen?
Generell ist für mich in und mit der Kunst zu arbeiten ein totaler Luxus. Kunst und Kultur sind ein intellektuelles Spielfeld und wichtig für eine Zivilgesellschaft, für Politik und Bildung — denn die Kunst lässt uns nicht in Ruhe und veranlasst uns, uns mit uns selbst und unserem Umfeld auseinanderzusetzen.
Kunst und deren Inszenierung sind mir wichtig und das, was mir Spaß macht. Wenn man mich lässt, ist mir dafür jeder Ort recht, denn jeder Ort und seine Menschen haben ihre Spezifika. Wenig Routine und viel Abwechslung sind das, was ich an diesem Job so reizvoll und spannend finde. Sich gemeinsam mit Künstlern und Künstlerinnen und Mitarbeitern die Frage stellen: „Wie vermittelt man heute Zeitgenössische Kunst, die zwar mittlerweile gesellschaftlich angenommen ist, aber nur bedingt ernst genommen wird“? „Wie strukturiere ich eine Institution, die immer unter prekären Bedingungen arbeitet“? „Erhalten wir alte Strukturen oder ändern wir Dinge – gerade auch mit Blick in die Zukunft?“ „Wie funktioniert der Raum?“ „Wie kann ich etwas da hineinstellen, damit es funktioniert“? „Wie können sich Besucher an diesem Ort wohlfühlen, wie schaffe ich eine Bindung zwischen dem Betrachter, dem Raum und der Kunst“? Bindungen funktionieren meist zuerst auf körperlicher Ebene und dann erst intellektuell — es ist interessant damit zu spielen. Im Grunde geht es doch immer um Beziehungen: Die Beziehungen zum Künstler, dem Team, zu denen, die an uns glauben, uns fördern und denen, die man begeistern möchte.
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2. Darum geht es ja auch bei einem Verein, oder?
Das geht natürlich mal mehr oder mal weniger. Fördermitglieder, Mitglieder, Künstler, Besucher – alle haben andere Ansprüche. Wie bringt man diese zusammen, ohne dass sich jemand „nicht eingeladen fühlt“? Es ist immer ein Spagat und unser kleines Team hat alle Hände voll zu tun.
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3. Kann man sich bei der Arbeit in einem Verein freier bewegen, als in einer anderen Institution?
Jede Institution hat ihre Bedingungen. Große Museen müssen ihre Ausstellungen so breit streuen, dass die Besucherzahl nach oben geht. Das ist politisch und wirtschaftlich wichtig. In einem Verein wie dem Kunstverein in Hamburg habe ich zwar mehr Freiheiten, muss aber auch hier ein Programm entwickeln, das in der Stadt funktioniert. Meiner Meinung nach braucht das Zeigen zeitgenössischer Kunst eine bestimmte Bandbreite. Dabei sollten alle Medien integriert und ein Wechselbad von Ausstellungen angeboten werden, die mal einfacher, mal weniger einfach zugänglich sind; dann muss man allerdings in der Konsequenz auch damit klarkommen, mal mehr oder weniger Menschen begeistert zu haben.
Zum Glück gibt ein Bewusstsein dafür, dass Deutschland ein gutes System hat, um Kunst zu zeigen. Das beginnt mit den Kunstvereinen, die junge Kunst zeigen und dabei helfen, sie aufzubauen und setzt sich fort über die Kunsthallen, die Übersichtsausstellungen erarbeiten, bis hin zu den Museen, die Retrospektiven zeigen und sich viel länger und wissenschaftlicher mit einem Thema auseinandersetzen können.
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4. Kunst als gute Investition — wie verhält sich der Kunstmarkt dazu?
Wenn man über den Kunstmarkt spricht, dann stellt sich zwangsläufig die Frage: „Wie sieht es denn mit der Rendite aus“? Viele suchen, heute mehr denn je, nach “Werten“ finanzieller Natur. Ich finde jedoch, Kunst sammeln gleicht Geld verbrennen. Dieser eine Kunstmarkt, der bleibende Werte schafft und scheinbar nie zusammenbricht, ist eine Utopie. Es ist interessant, wie sehr alle daran glauben möchten. Schließlich hat man doch einfach nur Glück gehabt, wenn eins von den vielen Sammelstücken das Rennen gemacht hat. Wenn man Kunst kauft, muss man sie mögen — weil es sein kann, dass es doch nicht die große Karriere wird. Von den Künstlern, die wir im Kunstverein ausstellen, werden im Durchschnitt nur 4 % bekannt. Wir sind aktuell in einer Zeit angekommen, in der man sehr viel Geld mit Kunst verdienen kann, und dadurch bedingt, entsteht eine verzerrte Wahrnehmung. Kunst ist nicht „die Kunst“. Es gibt viele Kriterien die eine Rollen spielen und dadurch, dass sie sich nicht eingrenzen lassen wird es zu Kunst.
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5. Wenn alles möglich ist, es keine Kriterien gibt, wird die Frage der „moralischen Verabredung“ lauter. Das ist etwas, was wir gerade auch politisch verfolgen können. Was sagst du dazu?
Es geht nicht an, egal welcher Partei man angehört, dass heute sämtliche Umgangsformen aufgegeben werden, denn sie sind die Grundlage eines guten Miteinanders. Die interessante Frage ist doch, wie die Politik es schafft, diese Umgangsformen aus dem Parlament zu verbannen“? Auch die Presse sollte gründlich über diese Problematik nachdenken. Man darf nicht vergessen, dass wir solche Diskussionen schon einmal hatten – gerade jetzt muss man einfach hellhörig und vorsichtig sein.
Wenn zudem mehrere Millionen Menschen rechts wählen, obwohl sie politisch nicht mal davon überzeugt sind, sondern nur „ich zeig es denen“ spielen möchten, dann ist das ein Demokratieverständnis das mich erschüttert. Hier läuft vieles nicht rund.
Eine Ursache ist, dass zu wenig in Bildung investiert wird. Wenn sogar Universitäten davon ausgehen, dass man in unserem wirtschaftlich funktionierenden System nur 6 % an gut ausgebildeten Menschen braucht, dann ist das ein Zynismus, den ich nur schwer aushalte. Was aktuell passiert, ist die Quittung dafür und darüber sollte man nachdenken. Die Demokratie funktioniert, indem Wirtschaft, Politik und ein Gemeinwesen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. So ist auch unser Grundgesetz aufgebaut. In den 80/90ern hat die Wirtschaft seine Doktrin übernommen und mit diesem Ungleichgewicht funktioniert die Demokratie nicht mehr. Denn man kann nicht alles monetär berechnen.
Es sind fragile Systeme, die da ineinandergreifen. Auch das Kunstfeld wird zunehmend ein heiß gelaufener Markt. Da ist mir mittlerweile zu viel Attitüde drin und es wird sich zu wenig gefragt, um was es eigentlich geht. Ich wäre dafür, dass man kollektiv alle Museen ein Jahr schließt. Es wäre interessant zu sehen, welchen Stellenwert die Kunst danach hat.
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6. Wie kann man es denn besser machen?
Gute Frage. Man sollte Demut vor dem Leben haben und ein gutes Buch lesen.
Ich denke, ohne Inhalt geht gar nichts. Dieser Glamour-Faktor, der auch den Kunstmarkt die letzten zehn Jahren bestimmt hat, ist etwas, wogegen ich polemisiere, weil mich das A langweilt und B so auch keine gute Kunst entsteht.
Etwas zu zeigen, das nicht „sexy“ ist, weil es eine Notwendigkeit gibt, es zu zeigen – das finde ich spannend und ich bin glücklich, genau das hier machen zu können.
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7. Du zeigst Mut und Eigenwilligkeit – zieht sich der Eigensinn auch durch dein Leben?
Immer. Ich habe mich, seit ich lesen kann, für Literatur begeistert und seit ich neun Jahre alt war meine Familie „terrorisiert“, weil ich mir unbedingt Kunstausstellungen ansehen wollte. Das Bodenständige kommt wohl durch das Reiten. Mein Großvater hat ein wenig Pferde gezüchtet und ich bin viel und leidenschaftlich gerne Dressur geritten. Ich denke, das hat mich am Boden gehalten und geerdet. Sonst war ich eher schüchtern — auch eine Form des Eigensinns, aber ich hatte immer gute Freunde an meiner Seite.
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8. In einem Interview sagtest du: „Feminismus ist die stärkste und dennoch unterschätzteste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts. Was ist da schiefgelaufen“?
Ich habe Anfang 2000 ein Projekt zum Feminismus gemacht und mich schon damals intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Wenn man genau hinschaut, war der Feminismus tatsächlich erfolgreicher als das „civil rights movement“ — und für mich die erfolgreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts. Etwas durchzusetzen, was Jahrhunderte lang anders gesehen wurden, ist eine wahrhaftig große Leistung. Interessant ist dann jedoch, dass selbst die meisten Frauen nicht stolz darauf sind. Es gibt heute noch Polemik oder das Problem: „Wie spreche ich als Frau über mich selbst“?
Allein der Begriff „Feministin“ assoziiert bei Vielen nichts Positives, weder bei Frauen noch bei Männern. Das ist interessant, aber auch nicht verwunderlich. Wir müssen uns zudem mit einem noch viel mittelalterlicheren Frauenbild aus dem fundamentalistischen Islam auseinandersetzen.
In der Kunst ist es mit der Emanzipation definitiv besser geworden, denn das ist ein Bereich in dem es relativ viel Gleichberechtigung gibt.
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9. Bettina Steinbrügge: „Eine starke Frau als Kopf des Kunstvereins“. „Welche Seite von dir kennt noch keiner“?
Ich muss schon sagen, dass ich mich die letzten drei Jahre sehr intensiv mit Film und Kunst beschäftigt habe. Was mich interessiert, ist einfach die intellektuelle Auseinandersetzung und der Diskurs. Vielleicht schreibe oder unterrichte ich in Zukunft mehr, aber egal was ich tue, es wird wohl immer im gleichen Kontext bleiben.
Mein Exit-Scenario war früher immer: Cocktails mixen irgendwo in Asien. Ich habe während meines Studiums in mehreren Bars gearbeitet und kann tatsächlich gute Drinks mixen.
Einen Aussteiger-Mythos mal ausprobieren — warum nicht 😉
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10. Was ist eine Herausforderung für dich?
Ich empfinde älter werden als Herausforderung; wenn man plötzlich merkt, dass der Körper nachlässt und man nicht mehr 3 Tage durchfeiern kann.
Da gilt es Wege zu finden, damit umzugehen. Wie baue ich konstant mein Leben um, wie setze ich, gemessen an Kraft und Alter, neue Schwerpunkte? Kann ich wirklich noch 7 Monate im Jahr in den Flieger steigen, wenn ich danach an Schlaflosigkeit leide? Man merkt sukzessive, dass sich das Kräfteverhältnis verändert.
Dennoch: Das Leben sollte man leben, auch wenn das dann mit Sicherheit nicht immer das Gesundheitsprogramm ist.
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11. Die Frage nach der Wahrhaftigkeit beschäftigt viele Menschen nicht nur in der Kunst. Wann hast du dich am wahrhaftigsten gefühlt?
Das sind wohl die Momente, bei denen man vieles an sich selbst akzeptiert und mit sich und seiner Umwelt entspannter umgehen kann. Es sind Momente, in denen man sich etwas zutraut und seine eigenen Unsicherheiten überwindet und es ist ein Prozess, den man Leben nennt — und je älter man wird ,desto öfter hat man solche Momente.
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12. Woraus schöpfst du Energie?
Daraus, nach New York zu fliegen und Freunde zu besuchen zum Beispiel. Ich mag die Energie dieser Stadt und, mich in ihr zu verlieren. Gut essen gehen, Ausstellungen, Freunde besuchen, dieses bunte Treibenlassen empfinde ich als sehr wohltuend und entspannend. Ich bin niemand, der das Ländliche braucht, um zu entspannen — mich macht das Umtriebige eher ruhig. Auch sonst— je größer der Stress, umso ruhiger bin ich.
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13. Hast du vor irgendetwas Angst?
So richtig Angst habe ich nicht — Tauchen und alles, bei dem man seine Atmung kontrollieren muss, finde ich allerdings schwierig.
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14. Tendaysaweek — würdest du generell sagen, du machst nur, was dir Spaß macht?
Nein. Nur zu tun was einem Spaß macht, mag positiv klingen — aber es ist nicht unproblematisch. Dadurch, dass man etwas gerne macht, legt man auch andere Kriterien an einen Job an. Ich habe in den ersten sieben Jahren meines Berufslebens im Monat etwa 1.100 Euro brutto verdient — da muss man sich seinen Job leisten können. Aber letztlich ist das ein Unding, weshalb ich mich darauf heute nicht mehr einlassen würde. Wenn man von seinem Job nur eingeschränkt leben kann, muss man sich überlegen, ob man dann nicht lieber etwas anderes macht.
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15. Ein Abendessen bei dir — wie sieht das aus?
Unterschiedlich. Es könnte das asiatische Menü mit vier Gängen sein, oder ich gehe zum Alsterhaus und besorge guten Käse, Brot und andere Kleinigkeiten. Auf jeden Fall muss der Wein gut sein.
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16. Bei einer Skala von 1-10 wie geht es dir heute?
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1. süß oder salzig? salzig!
2. morgens oder abends? morgens
3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? weniger ist mehr
4. lieber allein oder am liebsten mit vielen? beides
5. auto oder fahrrad? fahrrad
6. sekt oder selters? selters
7. berge oder meer? meer.
8. elektro oder pop? elektro
9. bleistift oder kugelschreiber? kugelschreiber
10. rom oder hongkong? hongkong
11.wahrheit oder pflicht? wahrheit
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