dagmar hanneger

film denys karlinskyy // interview & text cris // Wenn man sich in Hamburg in den Galerien und Museen umsieht, wird man Dagmar aller Wahrscheinlichkeit begegnen. Meist gut gelaunt und freudig, begrüßt sie jeden, den sie kennt und das sind viele…

Ihr Style ist auffällig ohne laut zu sein, gekonnt mischt sie Farben, Stile und Materialien und der Begriff des „Zeitlosen“  passt bei ihr sicher nicht nur auf ihr Äußeres.

Generell spielt das Alter keine wirkliche Rolle in ihrem Leben — außer eben, dass es aus ihrer Sicht immer besser wird, je mehr sie sich kennt. Das ist ein schönes, versöhnliches Statement über das Älterwerden und ich kenne nicht viele, denen man das so glauben kann wie ihr. Dagmar begeistert mit ihrem Spirit viele … denn sie schafft es, Menschen zusammenzubringen, mal am Tisch, am Herd, mal in einer Ausstellung, für ein Independent-Magazin, mal im kleinen Kreis zuhause. Irgendeine Möglichkeit initiiert sie immer, um Kunst, Literatur oder Gaumenfreude mit anderen teilen zu können.

 

Schön, dass es solche Menschen wie sie gibt, denn Teilen ist ein großes Gut — vor allem, wenn es Zeit, Geist und Aufmerksamkeit sind… deine Begeisterung begeistert … thx tendaysaweek.  


1. Stylistin, Mitinhaberin des Better Days Clubs, Kuratorin, Herausgeberin von „FALL“, einem Independent Magazin, und mit dem „ART LOVES YOU“ soll die „Salonkultur“ wieder aufleben. Wofür schlägt dein Herz gerade am lautesten?

Wie fange ich am besten an? Wenn man aufgeschlossen und kritisch in diese Welt schaut und hinhört, stellt man fest, dass vieles im Argen liegt. Die EU bröckelt, Brexit, Trump, AFD, das beschäftigt mich und ich merke im zunehmenden Alter immer mehr, wie wichtig mir die Auseinandersetzung über und mit Menschen ist. Da ist dieser wachsende Hedonismus, der am Anfang meiner beruflichen Laufbahn als Stylistin auch von mir gelebt wurde. Mein Berufsstart als Stylistin war wirklich goldglänzend. Es gab aufregende Fotoreisen, wir sind am Anfang um die Welt gezogen wie Millionäre – St. Tropez, Marrakesch, New York – und ich hatte sehr viel Glück und durfte mit sehr guten Fotografen zusammenarbeiten. Ich fühlte mich absolut privilegiert. Parallel hatte ich noch eine Bar mit einer Freundin auf St. Pauli und wenn ich zurückschaue war das eine großartige wilde Zeit, aber genau dieses Leben würde für mich heute nicht mehr funktionieren.

Heute sind mir andere Dinge wichtiger. Kunst ist für mich eine existentielle Geschichte geworden. Die Künstler, denen ich begegne, sind für mich Seismografen des Weltgeschehens und spiegeln das wider, was um mich herum passiert. Das hat mich irgendwann gepackt, hat mich anders fühlen und denken lassen. Sie haben mich neugierig gemacht. Ihre sezierende und oft provokante Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, mit ihren Träumen und Visionen, die sie leben und versuchen zu formulieren, hat mich angesteckt. Ich bin regelrecht „Feuer und Flamme“.

»

2. „ART LOVES YOU“ und „FALL“ Magazin… beides „non-profit-projekte“ die du regelmäßig initiierst. Ist das deine Lebensstrategie, Kreativität und Kunst muss frei sein  –  Geld verdiene ich mit etwas anderem?

Ich muss natürlich auch mal Kompromisse eingehen. Das FALL Magazin mache ich mit einem unglaublich engagierten Team zusammen und durch jahrelangen Austausch sind wir mittlerweile sehr verbunden. Das Tolle an unserer Zusammenarbeit ist, dass mein Mitherausgeber Denys Karlinskyy und unser Chefredakteur Ulf Pape ähnlich denken.

Natürlich müssen wir alle hin und wieder auch für Miete, Krankenkasse und den Wein, den wir gerne abends am Tisch konsumieren, an anderen Orten Geld verdienen. Dennoch teilen wir gemeinsam den Wunsch, mit diesem Projekt etwas in die Gesellschaft hineinzugeben, was uns ausfüllt und Freude macht – und nicht aus kommerziellem Denken heraus eingeschränkt wird. Die meisten Menschen sind gesellschaftlich doch ziemlich verkorkst – etwas geben ohne Gegenwert dafür zu bekommen scheint den meisten unvorstellbar. Der Wert eines Menschen errechnet sich heute nur noch über Zahlen. Ich habe einfach festgestellt, dass mir dieser monetäre Wert nichts mehr bedeutet. Dieser Gedanke, ein Geschenk an die Gesellschaft zu geben, mit Texten, Gedanken und Bildern, lässt mich freudig schmunzeln und macht mich stolz.

Mein „ART LOVES YOU -Projekt“ läuft ähnlich. Ich bitte einen Künstler, mit mir einen Abend zu gestalten, gemeinsam zu kochen und dazu Menschen einzuladen. Das ganze zum Selbstkostenpreis. Uns ist dabei wichtig, dass eine Art offene Salonkultur entsteht … und das würde sicher nicht funktionieren, wenn die Kosten dafür hoch wären und jeder dann noch seinen „Preis“ fordern würde. Solche Projekte funktionieren nur, wenn alle, die mitmachen einfach „ja“ sagen. Ich denke, man muss den monetären Gedanken und Strukturen dieser Gesellschaft etwas entgegenstellen – kleine Pflänzchen des Andersdenkens aussetzen, damit sie wachsen und Früchte tragen können.

»

3. Wie wichtig ist dir deine Unabhängigkeit?

Ich war immer schon freiberuflich – die Vorstellung, eine 40 Stunden Woche in einer festen Struktur zu haben, das klassische „nine to five“, wäre unerträglich für mich. Projektbezogen kann ich gerne auch mal Tag und Nacht arbeiten, alles geben, ohne auf die Uhr zu schauen. Aber das Gute an dieser Art zu arbeiten ist: Es hat einen euphorischen Anfang und meist einen sehr befriedigenden Abschluss. Ich mag einfach Dinge, die einen Anfang und ein Ende haben. Ich habe sehr lange in der Werbung gearbeitet, mich auch unter dieser Glocke der „Scheinbaren Wichtigkeit“ befunden. Jeder ist so wahnsinnig von sich selbst überzeugt und selbstverliebt, dass die eigene Produktion, das Bild, das kreiert wird total wichtig und besonders ist; und nach Jahren stellt man einfach nur fest es ist so oft “ Die Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung“. Ich kann mich dafür einfach nicht mehr begeistern – und ich bin sehr froh, dass ich “ unabhängig“ genug bin, nur noch ab und zu Kompromisse eingehen zu müssen. Ich habe mich sehr reduziert und stecke eben nicht in einer Lifestyle-Situation, die mich dazu zwingt, nur funktionieren zu müssen.

»

4. Eine Gunst des Älterwerdens?

Voller Überzeugung kann ich sagen: Ich liebe das Älterwerden. Ich lerne mich mit jedem Jahr besser kennen, gefalle mir besser, weiß was mir guttut und wichtig für mich ist.

»

5. Sich selbst treu sein ist für viele der Traum vom Glücklich sein – bist du dem Glück ein Stück nähergekommen?

Ja auf alle Fälle.

»

6. Hast du Angst, dass der Traum morgen vorbei ist? Hast du Angst vorm Scheitern?

Nein, ich habe eher das Gefühl, dass ich in dieser Hinsicht stabiler geworden bin. Ich habe viel weniger Existenzängste als früher. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als ich sehr viel Geld verdient habe, da nährte sie proportional auch viele solcher Ängste. Mir sind heute meine Freunde wichtiger: Der Austausch mit der bildenden Kunst, ich liebe die Literatur, ich liebe das Theater und den Film und mir ist es wichtig, dafür intensiv Zeit zu haben – ich denke das nährt mich sinnvoller, bis ich umfalle.

»

7. Den schönen Kopf voller Ideen – was wäre noch ein Projekt, das du unbedingt realisieren möchtest?

Ich hätte gerne einen Raum, in dem ich mein Projekt „ART LOVES YOU“ noch mehr zelebrieren kann. Ich liebe Restaurants schon mein Leben lang und für mich ist Essen ein sinnliches Erlebnis – zusammen essen ein kommunikativer Akt. Ich schätze den uralten Gedanken der gemeinsamen Tischkultur – Bei meinem „ART LOVES YOU“-Projekt biete ich dem Künstler und seiner Kunst den Rahmen. Hier schmeckt und plänkelt man nicht nur, sondern erweitert seine Sinne: Es geht mir um das gemeinsame Erleben, den Austausch und die Gesprächskultur. Ich gebe den Künstlern eine Art Bühne, das ist für mich das Schönste. Ich persönlich finde es großartig, wenn interessante Menschen Geschichten erzählen, dann hänge ich regelrecht an ihren Lippen. Das muss doch zu vermitteln sein.

»

8. Wer oder was hat dich in deinem Leben nachhaltig geprägt?

Die charismatische kompromisslose Künstlerin Marina Abramovic bewundere ich sehr und verfolge ihre Arbeiten seit Jahren. Im Sommer habe ich eine großartige Retrospektiv im Louisiana–Museum gesehen. Ihr Mut, total loslassen zu können, das Anarchistische und Provokante in ihren Performances beeindruckt mich. Vielleicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, das auch zu können.

Natürlich haben Menschen mich nachhaltig geprägt, die mir die Kunst nähergebracht haben. Eine befreundete Museumsdirektorin aus Hamburg – sie war streng und klar in ihrem Blick auf die Kunst und ertrug keine Oberflächlichkeit. Ich bin ihr sehr dankbar, durch sie habe ich viel lernen können, meinen Blick zu verfeinern und zu kultivieren. Ich kann das nur jedem wünschen, dass es Phasen im Leben gibt, in denen Menschen an der Seite sind, die einen “ aufschütteln“ und konstruktiv kritisieren – aber dafür muss man auch bereit sein, zuhören und lernen wollen. Manchmal denke ich sogar, studieren ist etwas, das man im Alter besser kann als in jungen Jahren.

»

9. Du wirkst meist ruhig und gelassen – was ist dein Rezept für innere Ausgeglichenheit?

Wie ich schon sagte, ich empfinde es als Glück, mich immer mehr selbst zu kennen – dadurch entsteht innere Ausgeglichenheit. Zudem ist mir ein heiteres Wesen in die Wiege gelegt worden und die große Lust am Leben.

»

10. Was lässt dich mal so richtig aus der Haut fahren?

Konsumistische Dummheit – genährt durch übergroße Fernseher; Neid verpackt in „gute Ratschläge“; dass die Amerikaner einen so hirnlosen Präsidenten gewählt haben …

»

11. Augen zu und inne halten – was siehst du?

Ich habe das Gefühl, ich tue zu wenig – ich müsste engagierter, öffentlicher werden, um gesellschaftliche Missstände anzusprechen, lauter werden, mehr Widerstand gegenüber den üblen Wortverdrehern der AFD formulieren – daran werde ich arbeiten!

»

12. Was ist bei Dir im Kühlschrank?

Hierbas (ein Kräuterlikör, der eigentlich nur auf  IBIZA schmeckt, mich aber an das wunderbare Licht, an den Rosmarinduft und die langen Sommerabende auf der Terrasse meiner ibizenkischen Freundin erinnert), Frischkäse, Oliven, leider Thunfisch (in der Dose – aber fair gefangen!) und natürlich Wein.

»

13. Was heißt für dich tendaysaweek?

Ganz ehrlich, ich weiß, es soll ausdrücken, dass die Woche so viel mehr Inhalt hat als Zeit ist – aber für mich bist das Du!

»

14. Auf einer Skala von 1-10: Wie geht es Dir heute?

8

 

Danke für dein Mitmachen – und dass du uns teilhaben lässt.


Quickreport

l. süß oder salzig? salzig

2 morgens oder abends? abends

3. mehr ist mehr oder weniger ist mehr? beides

4. lieber allein oder am liebsten mit vielen? beides

5. auto oder fahrrad? fahrrad

6. sekt oder selters? champagner

7. berge oder meer? meer

8. electro oder pop? beides

9. bleistift oder kugelschreiber? bleistift

10. rom oder hongkong? rom

11. wahrheit oder pflicht? beides mit herzen

 


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.